Briefmarken erinnern an den „Schwarzen Freitag 1933“ Teil 1
Schreckenstage in Neunkirchen als der Gasometer explodierte
Der Unglückstag
Es war ein milder, trüber Februartag, dieser Freitag, der 10.02.1933. Nieselregen machte das Wetter ungemütlich. Diesig und gedrückt, wie im November war auch die Stimmung an jenem Unglückstag. Das pulsierende Leben in der Industriestadt Neunkirchen ging seinen gewohnten Rhythmus wie an anderen Werktagen. Im Wetterbericht hieß es: Fortdauer des milden regnerischen Wetters, später Wetterbesserung, Temperaturrückgang. Auch im politischen Weltgeschehen war die Lage eher diesig. Das Saargebiet wurde seit 1920 im Auftrag des Völkerbundes von den Franzosen verwaltet. Im Reich hielt der am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler gewählte Adolf Hitler an diesem Freitag im Berliner Sportpalast seinen „Aufruf an das deutsche Volk“. In Neunkirchen konnte man damals bei Bata für 20 Franken Schuhe kaufen. In der Bahnhofstraße gab es im Central-Kaufhaus Gebr. Sperling alles für den Haushalt. Im Kunst- und Radiohaus Maekel am Oberen Markt wurden Radiogeräte angeboten - derweil begann im Äther die Schlacht zwischen Franzosen und Deutschen um die Vorherrschaft im Saargebiet. Die Turngemeinde von 1860 Neunkirchen veranstaltete einen „heiteren Werbe-Turnabend“ im Saalbau. Die Borussia hat sensationell die Profielf von Wacker Wien 4:0 geschlagen. Im Corona lief der Film „Abenteuer im Engadin“ und das Astra in Ottweiler präsentierte Greta Garbo als „Mata Hari.“ Im Urania in Landsweiler flimmerte der „Blonde Traum“ mit Lilian Harvey und Willi Fritsch über die Leinwand. Lieder wie „Was macht der Mayer am Himalaya“ und „Unter den Pinien von Argentinien“ sowie „Mein Onkel Bumba aus Kalumba“ und „Mein Papagei frisst keine harten Eier“ wurden dank der stetig steigenden Zahl von Radiogeräten immer populärer. Die Weltwirtschaftskrise 1930 hatte auch die Stadt Neunkirchen und ihre Bürger in große Bedrängnis gebracht. Die Zahl der Hilfeempfänger hatte sich innerhalb von wenigen Jahren verdreifacht. Doch bereits 1933 waren die schlimmsten Folgen überwunden. Die Arbeitslosenquote im Reich lag immer noch bei fast 5 Millionen und auch das Arbeitsamt des Saargebietes meldete noch 45 314 Arbeitslose. In der Saar- und Blieszeitung stand dann auch, dass trotz Wirtschaftskrise und Grippe Unterhaltungsabende mit karnevalistischem Einschlag durchgeführt werden. Nach dem Tode des langjährigen Bürgermeisters Ludwig leitete 1933 Bürgermeister Dr. Georg Blank die Geschicke der Stadt Neunkirchen. Um 5.20 Uhr begann an diesem Freitag für die israelische Gemeinde Neunkirchen der Sabbat. In der Saarbrücker Straße verlief an diesem Tag das Leben in gewohnten Bahnen, die Männer gingen ihrem Beruf nach, sofern sie nicht arbeitslos waren. Die Pensionäre machten sich ums Haus herum nützlich. Die Hausfrauen versorgten den Haushalt, waren einkaufen und bereiteten jetzt das Abendessen vor. Auch die Kinder hatten ihren Schultag hinter sich und die Hausaufgaben waren meistens erledigt.
Die Katastrophe
Am Freitag, den 10. Februar 1933, wenige Minuten nach 18 Uhr explodierte in Neunkirchen der große Gasometer des Neunkircher Eisenwerks an der Saarbrücker Straße. Das Unglück forderte 68 Tote, darunter viele Frauen und Kinder. Die Zahl der Verletzten lässt sich nur schätzen, da es fast kein Haus im näheren Umkreis des Gasometers gab, in dem nicht Bewohner durch Glassplitter verletzt wurden. Über 190 Schwerverletzte wurden in den umliegenden Krankenhäusern behandelt. Die Schäden gingen in die Millionen. Die besonders hart betroffenen Straßenzüge Saarbrücker Straße und Schlawerie bildeten eine einzige Trümmerwüste. Die meisten der dortigen Häuser wurden zerstört oder so stark beschädigt, dass sie nicht mehr bewohnbar waren. Eine Reihe von 13 Häusern in der Saarbrücker Straße wurden völlig dem Erdboden gleichgemacht. Hier waren auch die meisten Todesopfer zu beklagen. Insgesamt wurden 65 Häuser zerstört und unbewohnbar. 167 Familien mit etwa 700 Personen wurden obdachlos. „Kurz vor der riesigen Katastrophe, als das Verhängnis durch die entfesselte Gewalt der Elemente schon unvermeidbar geworden war, stieg einer der schnell herbeigerufenen Ingenieure todesmutig auf die Tribüne des Gaskessels, um den Hebel zur Öffnung des Ventils zu ziehen und rief hinunter: „Ich rette Neunkirchen“. Den heroischen Willen zur Rettung der Stadt hat der tapfere Beamte mit seinem Tode bezahlt. Die Rettung der Stadt hat er freilich nicht mehr erreicht, vielleicht aber doch noch eine Milderung der Kraft und des Umfangs der Katastrophe. Die Zerstörung hat einen Grad und Umfang erreicht, dass man nur mit Schaudern und Schrecken daran denken kann. Es ist das größte Unglück, das die Stadt und das ganze Saargebiet jemals heimgesucht hat, zwar nicht hinsichtlich der Zahl der Todesopfer – mehrere Grubenunglücke verzeichneten mehr Tote – wohl aber hinsichtlich des Umfanges der Zerstörung und der Zahl der Opfer aus der friedlich ihrer Beschäftigung nachgehenden Zivilbevölkerung.“ Diese Zeilen schrieb Josef Kintzinger im Vorwort zu seiner im Jahr 1933 herausgegebenen Broschüre „Die Schreckenstage der Stadt Neunkirchen. Kurz nach 18.00 Uhr tönte vom Hüttengelände ein dumpfer Knall. Im selben Moment loderte eine riesige Stichflamme am Gasometer empor. Dann nach circa 5 Minuten schien in Neunkirchen die Erde stillzustehen. Das Inferno brach los. Eine Erschütterung wie bei einem Erdbeben folgte. Mit ungeheurer Detonation explodierte der 72 m hohe Gasbehälter. Die Detonation war in einem Umkreis von 200 km zu hören. Die Häuser im oberen Teil der Saarbrücker Straße in der Nähe des Gasometers wurden dem Erdboden gleichgemacht, wie Kartenhäuser waren sie eingestürzt. Menschen wurden durch die Luft geschleudert, zerfetzt, verschüttet. Die angrenzenden Straßenteile der Schlawerie und der benachbarten Oberschmelz waren verwüstet. Zentnerschwere Eisenteile flogen mehrere hundert Meter durch die Luft. Im Corona fielen den Kinobesuchern Teile der Decke auf den Kopf. Im Kaufhaus Levy stürzten ebenfalls Deckenteile herab und verletzten Kunden teilweise schwer. Im gesamten Stadtgebiet und darüber hinaus gingen Fensterscheiben zu Bruch. Die Werksanlagen waren schwer beschädigt. Die Koksanlage brannte lichterloh. Die Benzolanlage war in höchster Gefahr. In panischer Angst flohen die Überlebenden und Leichtverletzten in alle Himmelsrichtungen – nur weg von der Unglücksstelle.
Die Rettungsarbeiten
Die Hilfe und die Einsatzbereitschaft der einzelnen Hilfsorganisationen war vorbildlich. Die Sanitätskolonne des Roten Kreuzes in Neunkirchen hatte gerade zur Zeit des Unglücks ihren Unterrichtsabend, der sehr gut besucht war. Sofort nach der Explosion ertönte die Sirene des Hüttenwerkes mit dem Sanitäts- und Feuerwehralarmruf. Kaum 8 Minuten später war die Kolonne Neunkirchen mit ungefähr 50 Mann an der Unglücksstelle. 150 Mitglieder der Neunkircher Feuerwehr und alle 58 Männer der Werksfeuerwehr waren im Einsatz. Den eintreffenden Rettungskräften bot sich ein Bild des Grauens. Sofort begannen sie, an der Unglücksstelle einen Verbandsplatz zu errichten und die Verletzten zunächst provisorisch zu versorgen. Sie suchten das Trümmerfeld ab und begannen die Schwerverletzten ins nächste Krankenhaus zu befördern. Die Krankenhäuser in Neunkirchen, Ottweiler, Sulzbach, Friedrichsthal und Fischbach nahmen die Verletzten, unter denen zahlreiche Schwerverletzte mit dem Leben rangen, auf. In den ersten Stunden nach der Explosion wusste niemand genau, welche Verletzten in welche Krankenhäuser gebracht worden waren. Inzwischen trafen die benachbarten Sanitätskolonnen aus Wellesweiler, Wiebelskirchen, Elversberg, Spiesen, Stennweiler, Illingen, Ottweiler, Landsweiler, Heiligenwald, Mittel- und Oberbexbach, Frankenholz, Homburg, Erbach, St. Ingbert, Ensheim, Gronig, Altenwald, Friedrichsthal, Merchweiler, Humes, Eppelborn, Hühnerfeld, Sulzbach, Dudweiler und Wemmetsweiler an der Unglücksstelle ein. Dabei gab es erhebliche Schwierigkeiten bei der Alarmierung. Zunächst waren sämtliche Telefonverbindungen von Neunkirchen unterbrochen. Nur auf die Detonation hin und den weit sichtbaren Feuerschein eilten die Kolonnen herbei, dazu kam, dass sich die Nachricht wie ein Lauffeuer in der ganzen Umgebung verbreitete. Unter der Leitung der Kolonnenführer aus Neunkirchen wurde der Hilfsdienst systematisch durchgeführt. Im Laufe des Abends kamen noch weitere Kolonnen von Hangard, Fürth, Münchwies, Furchweiler und von außerhalb des Saargebietes aus Waldmohr und Zweibrücken hinzu. Zusätzlich wurden noch Rettungskräfte aus Saarbrücken alarmiert. Eine Stunde nach dem Unglück waren bereits 200 Sanitäter im Einsatz. Zusammen mit den Feuerwehren und den Arbeitersamariterkolonnen beteiligten sie sich an den Rettungsarbeiten. Gegen 21 Uhr hatte die Zahl der Rettungskräfte die Tausend weit überschritten, allein 600 Helfer des Roten Kreuzes waren im Einsatz. Zusammen mit den Arbeitersamariterkolonnen und den Feuerwehren leisteten sie unermüdlich Hilfsdienste. Hunderte Feuerwehrleute, Sanitäter und freiwillige Helfer versuchten an den Unglücksort vorzudringen. Da im ersten Schreck und vielleicht auch in der ersten Neugierde eine große Menge von Rettungskräften und Schaulustigen der Unglücksstelle entgegenströmten, waren alle Zufahrtswege bald verstopft und die Hilfeleistungen wurden erheblich behindert. Dazu kam die Angst vor weiteren Katastrophen. Es ging die Angst um, dass die vollgefüllten Benzolbehälter explodieren könnten. Diese Behälter brannten lichterloh. Neben der Gefahr, die dieser Brandherd bildete, hatten die Flammen doch den Vorteil, die Explosionsstelle zu beleuchten und so die Rettungsarbeiten wesentlich zu erleichtern. Nur die an den rückwärtigen Seiten und die am Abhang gelegenen Häusern lagen im Schatten und wurden durch die Pechfackeln der Helfer gespenstisch beleuchtet. In den ersten Tagen nach dem Unglück waren die Feuerwehren aus der ganzen Umgebung im Einsatz. Wegen der Größe des Gebietes wurden ihnen auch Polizeibefugnisse übertragen. Die Feuerwehr berieselte die drei brennenden Benzolbehälter stetig mit Wasser, um eine übermäßige Erhitzung zu verhindern. Ein Betreten der Benzolfabrik und der unmittelbaren Umgebung des Gasometers war am Unglücksabend noch nicht möglich. Allerdings wurden in diesem Bereich auch keine oder nur ganz wenige Verletzte und Tote vermutet. Bis gegen 8 Uhr am nächsten Morgen waren etwa 40 Tote und 100 Schwerverletzte geborgen und die Verletzten in die Krankenhäuser gebracht. Für den Transport der Verletzten standen 10 Krankenwagen aus der ganzen Umgebung zur Verfügung. Am Abend des nächsten Tages waren alle Verletzten geborgen. Neben der Neunkircher Rot-Kreuz-Kolonne unter der Leitung des Vorsitzenden von Knobelsdorf und der Kolonnenführer Gebauer und Schmidt war auch die Kolonne von Landsweiler Reden unermüdlich im Einsatz. Diese Landsweiler Kolonne hatte drei Hauptunfallstellen eingerichtet und dort mehr als dreihundert Verletzte verbunden.
Fortsetzung folgt; Quellenangeben am Ende der Reihe
Ein Bericht von Wolfgang Melnyk / Horst Schwenk
In Kasten:
Burg Lichtenberg bei Kusel
Anmeldung für Studienfahrt im August
Der Historische Verein Stadt Neunkirchen e.V. plant am 3. August zur Burg Lichtenberg bei Kusel (inkl. Museumsbesichtigung Pfälzer Musikentenlang-Museum)zu fahren.
Leitung der Fahrt hat Friedrich Decker. Anmeldeschluss ist Donnerstag, der 13. Juli.
Anmeldungen können erfolgen zu den Geschäftszeiten Donnerstag 16:00 bis 18:00 Uhr in der Geschäftsstelle Irrgartenstr. 18 in 66538 Neunkirchen.
Abfahrt: 14 Uhr
Treffpunkt: Rathaus, Eingang zum Parkdeck
Weitere Informationen erhalten Sie unter info@hvsn.de.