Page 40 - Ausgabe 045 / Mai 2016
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  Evakuierung aus der Roten Zone 1939
Mitwirkung der AG Geschichte bei einem SR-Filmprojekt
einem Krieg im Westen gerechnet wurde. Deshalb habe es eine erste große Räumungs- aktion auch in vielen Orten des heutigen Saarpfalz-Kreises gegeben. Zwischen Aßwei- ler, Blieskastel, Einöd, Hassel und Walsheim seien Tausende zwangsevakuiert worden. So- wohl auf deutscher als auch auf französi- scher Seite habe sich von einem auf den an- deren Tag das Leben der Menschen verän- dert. „Die Zivilisten lebten mitten im Schuss- feld zwischen der französischen Maginot-Li- nie und dem deutschen Westwall. Eine halbe Million Menschen an der Saar, in der Pfalz und in Baden wurden ins Landesinnere ge- bracht; auf lothringischer und elsässischer Seite mussten 400 000 Einwohner auch ihr
SR-Journalistin Annette Bak beim Planungs- gespräch mit SZ-Redakteur Jürgen Neumann
Hab und Gut verlassen.“ Anschließend wur- de die Schülergruppe von der Fernsehjour- nalistin Annette Bak vor laufender Kamera über ihre Eindrücke befragt. Nächste Station war wenige Tage später ein Besuch in dem lothringischen Dörfchen Petit-Réderching. Der Ort liegt im Spannungsfeld der deutsch- französischen Geschichte und hat im Laufe der Jahrhunderte mehrfach seinen Namen verändert: Riderchingen (1575 und 1594), Kleine Réderching (1751), Klein-Rederchin- gen (1755), Kleine Rederking (1756), Klein- Rederchingen (Cassini-Karte und Karte des Generalstabs), Petit Réderching (1793), Ré- derching-Petit (1801), Kleinrederchingen (1871-1918), Kleinredingen (1940-1944). In der Dorfschule wurden die deutschen Gäste von Bürgermeister Armand Neu, der seit 2008 im Amt ist, empfangen. Mit dabei wa- ren zahlreiche einheimische Schüler mit ih- ren Lehrerinnen sowie Zeitzeugen der Eva- kuierung 1939 und ein Filmteam, das Mitte
  Seit jeher ist Krieg ein Schreckgespenst für die Menschen. Ihr gewohntes Le- ben gerät aus den Fugen und durch die Gewaltexzesse und Alptraumsze- narien werden oft von heute auf mor- gen liebgewonnene Gewohnheiten beseitigt, das heimatliche Umfeld zer- stört und Menschenleben vernichtet.
Seit Jahrtausenden werden die Toten beklagt und das jammervolle Leid und der Schmerz der Überlebenden thematisiert. Trotzdem wird das Abenteuer des Krieges – meist aus Profitgier – bis dato immer wieder riskiert und der sehnsüchtige Wunsch nach einem ewigen Frieden entpuppt sich als naive Illu- sion. Auch unsere saarländische Heimat ge- riet des Öfteren zum Schlachtfeld verhee- render Kriege. Glücklicherweise gibt es heut- zutage noch Zeitzeugen, die über ihre Kriegserfahrungen berichten und als Mahner
Zeitzeuge Willi Caster aus Erbach im Gespräch mit den Schülerinnen Esther (Mitte) und Miriam Seitz
zum Frieden auftreten können. Die scho- ckierenden Erlebnisse belasten viele bis ins hohe Alter, ein weit verbreitetes Symptom sind Alpträume bis ans Lebensende. In zahl- reichen Zeitzeugengesprächen und Veröf- fentlichungen hat sich die AG Geschichte des Saarpfalz-Gymnasiums Homburg in den knapp 17 Jahren ihres Bestehens damit aus- einandergesetzt. Aus diesem Grund wurde sie von Annette Bak, der renommierten Fil- memacherin des Saarländischen Rundfunks, ausgewählt, bei ihrer zweiteiligen Produk- tion über die „Rote Zone“ als begleitende Kommentatoren mitzuwirken. Unter der „Roten Zone“ versteht man ein sogenanntes „Freimachungsgebiet“ entlang der deutsch- französischen Grenze während des Zweiten Weltkriegs. Es war rund 400 Kilometer lang und zehn Kilometer breit. Die rund eine Mil- lion Bewohner dieses Gebietes wurden teil- weise mehrfach ins Innere des Deutschen Reiches zwangsevakuiert, wo sie angeblich sicherer waren. Das Phänomen der „Roten Zone“ war der AG Geschichte bereits aus
den fesselnden Erzählungen des 90-jährigen Willi Caster aus Erbach bekannt, der als ehe- maliger „Saarbrigger Bu“ ein Augenzeuge der Evakuierungsmaßnahmen im Raum Saar- brücken war. Auf ihn stützt sich auch ein Text in dem kürzlich veröffentlichten Buch der AG Geschichte mit dem Titel „Wir schaf- fen das! Fluchtgeschichten in Gedichten“. Daraus geht hervor, dass der Heimatverlust von vielen Betroffenen als äußerst unange- nehm empfunden wurde, vor allem weil sie ihren Besitz unbewacht zurücklassen mus- sten und vor Diebstählen nicht geschützt wurden. Haustiere blieben meist verwahrlost zurück oder wurden notgeschlachtet. Caster berichtete, dass sogar die Lieblingstiere von Kindern nicht verschont wurden und viele Tränen bei den Kleinen und ihren Eltern ge- flossen seien. Es habe Hunde- und Katzen- leichen in Massen gegeben, die dann in Last- wagen wegtransportiert worden seien. Zu- dem seien die Evakuierten in den Aufnah- meländern Hessen, Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Bayern nicht freudig empfangen worden. Das kennt man ja auch von den Flüchtlingen heutzutage. Man emp- fand die Fremden als lästige Kostgänger und gab ihnen meist „sehr bescheidene Unter- künfte“ in Altbauten, Lagerhallen und Feu- erwehrhäusern. Soziale Spannungen blieben in dieser Extremsituation natürlich nicht aus. Auf französischer Seite spielte sich das Glei- che ab.
Auf Wunsch des AG-Leiters Eberhard Jung sollte Jürgen Neumann, Historiker und Red- akteur der Saarbrücker Zeitung, seinen Schü- lern weiteres Basiswissen vermitteln. Wegen seiner umfangreichen Recherchen und Ver- öffentlichungen gilt er als hochgeschätzer Experte zum Thema „Rote Zone“. Mit seinem Vortrag im Saarpfalz-Gymnasium begann für die Schüler zugleich das Filmprojekt mit dem Saarländischen Rundfunk. Neumann hob hervor, dass Anfang September 1939 nach dem deutschen Angriff auf Polen auch mit
   Das SR-Fernsehteam mit der Projektgruppe
des Saarpfalz-Gymnasiums und SZ-Redakteur Jürgen Neumann
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