Queere Vielfalt
Ein Besuch auf dem CSD Saarbrücken
Ich war schockiert, als ich in den Medien von einer „rechten“ Gegendemo zur Christopher-Street-Day-Parade in Saarbrücken erfuhr und machte mich am Pfingstsonntag auf den Weg in unsere Landeshauptstadt. Ich wollte sehen, was da los ist.
Zum 26. Mal fand die Parade statt; oft habe ich nicht nur als Zuschauer am Wegesrand gestanden, sondern auf Motivwagen mitgemacht. Währenddessen hing an meinem Haus in Bexbach – das sog. „Dr.-Ludwig-Nieder-Haus“ (steht leider nicht mehr) – die Regebogenfahne als Symbol des Friedens und der Solidarität mit queeren Menschen. Der CSD Saar-Lor-Lux entwickelte sich in den letzten 26 Jahren zu einer Massenkundgebung mit Zehntausenden, 2025 waren es nach Schätzungen der Polizei rund 70.000 Menschen: 10.000 Aktive auf dem Marsch, 60.000 Zuschauer. Vor allem beim 2-tägigen Straßenfest in der Mainzerstraße wurde ein vielfältiges Programm an Kultur und Informationen rund um die Community geboten: Gewerkschaften, Parteien, humanitäre Gemeinschaften, Vereine, Betriebe u.v.m. engagieren sich hier Jahr für Jahr, umrahmt von zwei Bühnen mit musikalischen Events. Mittendrin der „LSVD“ (Landesverband Queere Vielfalt Saar“), alle Akteure mit viel Schwung und Elan. Der CSD-Saar ist seit vielen Jahren als Publikumsmagnet einer der großen Anziehungspunkte im Kulturprogramm der Stadt Saarbrücken. Oberbürgemeister Conradt und Ministerpräsidentin Rehlinger betonten das in ihren Ansprachen, und stellten insbesondere den Schutz queerer Lebensformen in den Vordergrund. Tatsächlich hatte sich eine rechtsextreme Demo unter dem Motto „Heimat und Tradition gegen CSD“ gegen die Pride mobilisiert und angemeldet. Somit hat es – wie in anderen Städten der Bundesrepublik – nun auch Saarbrücken „rechts“ erwischt. Auf Höhe der Luisenbrücke über die Saar wollten sich ein halbes hundert Leute aufstellen, so die Aussage des jungen Initiators, der gut vernetzt mit AfDlern zu sein scheint, die seit 2023 den Monat der Regenbogen-Prides als sog. „Stolzmonat“ propagieren und seitdem gegen die LGBTQ+-Community hetzen. So wurde der sympathische Wirt des Szenelokals „Einraum“ in der Mainzerstraße am Rande des CSDs 2023 brutal zusammengeschlagen. Eine klassische queerfeindliche Straftat, was jedoch zahlreiche junge Menschen nicht davon abhielt, weiter für die Rechte gleichgeschlechtlich Liebender zu kämpfen.
Das Motto 2025: Unser gutes Recht – kein Schritt zurück
Angesichts der europaweit zunehmenden Intoleranz gegenüber der queeren Community, müssen deren bisher erlangte Rechte unbedingt geschützt, verteidigt und weiter ausgebaut werden. Ein Blick zurück in jenes Jahr, das als Initialzündung der CSD’s gilt. Am 28. Juni 1969 kam es in der New Yorker Christopher Street zum sogenannten Stonewall-Aufstand. Die Bar „Stonewall Inn“ war vor allem ein Treffpunkt für schwule Männer, darunter Weiße, Schwarze oder Lateinamerikaner aus prekären sozialen Verhältnissen. Dort trafen sich darüber hinaus auch Menschen mit anderen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten. An diesem Juni-Tag führte die Polizei gewaltsame und diskriminierende Razzien in der Bar durch. Die Besucher des Stonewall Inn widersetzten sich der Polizeigewalt. Es folgten mehrtägige Proteste, die einen Wendepunkt im Kampf für die Rechte von Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität markieren und als Geburtsstunde des CSD gelten. Der Begriff queer wird als Sammelbezeichnung für Menschen verwendet, deren sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht. Dazu zählen etwa lesbische, schwule, bisexuelle, trans*, inter* oder nicht-binäre Menschen. Ursprünglich abwertend verwendet, ist queer – ebenso wie schwul - heute ein selbstbestimmter, stolzer Begriff innerhalb der Community. LGBTQIA+* steht für: Lesbisch, Gay (schwul), Bisexuell, Trans*, Queer oder Questioning (fragend), Inter*, Asexuell/Agender. Das + symbolisiert weitere Identitäten und Orientierungen, die nicht einzeln aufgeführt sind. Das Sternchen zeigt an, dass es vielfältige Ausprägungen innerhalb einzelner Gruppen gibt. Zugegebenermaßen etwas kompliziert.
Begegnungen
Auf der großen Bühne in der Saarbrücker Mainzerstraße wurde ein buntes Programm mit Musik, Show, Performance und politischen Statements geboten. Einer der großen künstlerischen Lichtblicke des Saarlandes, mittlerweile weit darüber hinaus bekannt, ließ es sich nicht nehmen, seine Solidarität zu bekunden. Es handelt sich um Rik Henri van Ginkel, ein ehemaligen Schüler des Gymnasiums Johanneum in Homburg. Rik Henri erhielt während seines Musikstudiums in Helsinki, Saarbrücken und Wien, das er als Master of Music abschloss, mehrere hochkarätige Stipendien. Er ist Konzertpianist, Popgitarrist, Sänger, Komponist und Schauspieler und setzt sich sehr engagiert für Diversität und Freiheit in unserer Gesellschaft ein. Ich hatte das Glück, ihn nicht nur auf der Bühne zu erleben, sondern auch kurz mit ihm sprechen zu dürfen und meinen ganz persönlichen Dank für sein Engagement auszusprechen. Der Wahl-Pariser hat ein tolles Doppelalbum »One«, aufgenommen im Großen Sendesaal des Saarländischen Rundfunks und The Marmalade Studios in Hamburg geschaffen. Im gleichen Alter wie Rik Henri ist Vitaliy, ein junger Mann aus Charkiw in der Ukraine, der mit Großmutter und Mutter ins Saarland kam. Zunächst in einer Schimmelwohnung in Bexbach einquartiert, war er mit einem 10 Jahre älteren Mann zusammen, der sich seinerseits noch nicht öffentlich geoutet hatte. Alles in allem nicht unbedingt harmonisch. Mittlerweile hat er in der Landeshauptstadt gute Freunde gefunden, die sich kümmern. Die Großmutter ist verstorben und seine Mutter in die ukrainische Heimat zurückgekehrt. Seine Homosexualität hätte er dort nicht leben können. Er erzählte, dass der diesjährige CSD in Kiew abgesagt wurde und es einen „stillen“ Tag gegeben habe, weil die Gegnerschaft der queeren Community gegenüber mit Gewalt und Ausschreitungen gedroht habe. Mit der gleichen Begründung wurde bereits vor 12 Jahren die erste Pride in der ukrainischen Landeshauptstadt verboten. Zahlreiche Abgeordnete votierten dagegen. Ebenso schlimm verhalten sich die offiziellen Vertreter der orthodoxen sowie der griechisch-katholischen Kirche; ihre Vertreter standen zusammen mit rechten Mitstreitern am Rande der Parade und wollten im priesterlichen Ornat mit Kreuzen und Segensgesten den Teilnehmern „den Teufel austreiben.“ Nur der mutige Priester Nazar Zatorskyy, der im „Collegium Orientale“ in Eichstätt seine Ausbildung absolvierte und heute in der Schweiz tausende von Exilukrainer*innen seelsorglich betreut, bat den Großerzbischof von Kiew, den Teilnehmern des CSDs nicht seine Ablehnung zu bekunden, sondern sie im Zeichen der Menschenwürde, christlicher Anteilnahme und Gerechtigkeit anzunehmen. Daraufhin wurde er seitens des Kirchenobern abgemahnt. Ungeachtet der Disziplinarmaßnahme setzt er sich jedoch weiterhin für die Menschen ein, unabhängig ihrer sexuellen Veranlagung.
CSDs sind wichtig für eine Demokratie
Warum der CSD 2025 immer noch wichtig ist, in Zeiten eines spürbaren gesellschaftlichen Rechtsrucks, zunehmender Queerfeindlichkeit und populistischer Hetze? Er gewinnt derzeit ganz neu an Bedeutung. Errungenschaften wie die Ehe für alle, das Selbstbestimmungsgesetz oder Schutz vor Diskriminierung stehen immer wieder zur Debatte – oder werden offen infrage gestellt, besonders von rechten und rechtspopulistischen Organisationen. Der CSD setzt deshalb ein sichtbares Zeichen: Für Vielfalt, Respekt und gleiche Rechte für alle. Er macht deutlich, dass queeres Leben nicht nur Teil der Gesellschaft ist, sondern Schutz, Anerkennung und politische Unterstützung verdient und benötigt. Die Vergangenheit hat gezeigt, wie Menschen aufgrund ihrer Veranlagung gedemütigt, verabscheut, ausgegrenzt und im Dritten Reich sogar ermordet wurden bzw. ins Konzentrationslager mussten. Diese Männer mit dem „Rosa Winkel“ im Gegensatz zum Gelben Stern der Juden hatten es wahrlich nicht leicht und erst vor knapp 30 Jahren wurde der Straftatbestand des berüchtigten Paragraphen 175 Strafgesetzbuch „Widernatürliche Unzucht“ abgeschafft. Erst 2017 trat das Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitation der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher Handlungen verurteilten Personen in Kraft. Ein Forschungsprojekt der Universität des Saarlandes von Dr. Frederik Stroh und Dr. Kirsten Ploetz zu dieser Thematik steht kurz vor dem Abschluss.
Opfer aus Bexbach und Homburg
Zwei Beispiele zur Diskriminierung Homosexueller Menschen aus Bexbach und Homburg: In Bexbach stand der Vorsitzende des Katholischen Jünglingsvereins während der NS-Zeit vor Gericht wegen des § 175. Da nach dem Krieg keine Entschädigungsforderungen gestellt wurden, ist sein Schicksal so gut wie unbekannt. Er wurde verurteilt und sah seine Heimat nicht wieder. Der aus Homburg stammende protestantische Geistliche Friedrich Klein wurde in Berlin wegen des gleichen Vergehens verhaftet. Die Kirche entzog ihm 1943 die Ordinationsrechte, er selbst wurde an die vorderste Kriegsfront versetzt, wo er 1944 tödlich verwundet wurde. 2020 wurde er seitens des Konsistoriums Berlin-Brandenburg als erster verfolgter homosexueller Pfarrer rehabilitiert und sogar mit einer Gedenktafel an der Immanuel-Kirche Prenzlauer Berg geehrt. In seiner Geburtsstadt Homburg ist er weitgehend unbekannt; seine Familie lebte in der Kanalstraße, in der gleichen Straße, in der auch der 1980 von Neonazis ermordete jüdische Lehrer und Rabbiner Shlomo Lewin wohnte. Beide kannten sich.
Foto von Klein gesucht
Bisher existiert kein Foto von Friedrich Klein. 1932 bis 1934 wirkte er als protestantischer Geistlicher in Niederbexbach. Gibt es noch Fotografien von Konfirmationen oder andern Festen, auf denen er zu sehen ist, bitte im Pfarramt Niederbexbach (06826-2784, Pfarrerin Ganster-Johnson) oder bei Hans-Joseph Britz (06841-101177) melden. © Britz