Page 30 - Ausgabe 114 / Februar 2022
P. 30

Anzeige
 Zum einhundertsten Todestag
Eine Hommage an Bexbachs Ehrenbürger Dr. Ludwig Nieder
ten eröffnenden Untersuchung“ bezeichnete. So kam Nieder zur Zentralstelle des Volks- vereins. Der exzellente Redner sorgte nicht nur für volle Säle sondern auch dafür, dass immer wieder die Arbeiter begeistert auf ihn zukamen. Er selbst lebte bescheiden, seine Schwester Anna besorgte den Haushalt. Mit den Geistlichen Bruckmeyer und Stumpf war er an der Gründung des katholischen Dienst- botenvereins München beteiligt, dessen Vor- sitzende von 1919 bis 1953 Anna Nieder wurde. Der Verein ist bis in die Gegenwart als Berufsverband katholischer
Bergleute stehen am Friedhof Spalier zu Ehren von Dr. Nieder (12.02.1920)
Arbeitnehmerinnen in der Hauswirtschaft tä- tig. Während des Ersten Weltkriegs rettete er die Belegschaft der Munitionsfabrik Hall- schlag/Eifel vor einer Explosion. Nur durch sei sofortiges Eingreifen konnte die Zerstö- rung des Werkes verhindert werden. Dafür sind ihm die Nachfahren der damals Geret- teten bis heute dankbar. 1919 wurde Nieders Freistellung für seine Tätigkeit beim Volks- verein durch Bischof Faulhaber erneuert. Nach wie vor galt sein Einsatz den arbeitenden Volksschichten. Begeistert wur- den seine Reden aufgenommen. Er warnte die Jugend vor falschen Ideologien und er- munterte die Frauen zu verstärktem Engage- ment in Kirche und Staat. In Konferenzen schulte er Laien zu praktisch-sozialer Arbeit und war mittlerweile in ganz Deutschland bekannt und geschätzt. Es gab einige wenige Bischöfe, die ihm weniger wohlgesonnen waren, weil er sich für die christlichen Ge- werkschaften, die damals bereits Mitglieder anderer Konfessionen aufnahmen, einsetzte. Der „rote Kaplan“ Nieder, hatte jedoch früh erkannt, dass es ums Zusammenhalten ging, nicht um konfessionelle Engstirnigkeit. Im Priesterseminar Speyer und in Deidesheim hielt er nach einer Vortragsreihe in der Heimatdiözese seine letzten Anspra- chen, bei der die Anwesenden deutlich seine gesundheitliche Schwäche spürten. Die Di- özesangeistlichen und die Alumnen des Priesterseminars Speyer hielten Gebets- wachen für den schwer Erkrankten. Am 7. Februar 1922 starb er in Deidesheim an ei-
 Vor 100 Jahren verstarb Bexbach Eh- renbürger Dr. Ludwig Nieder, Sohn des Metzgers Karl Nieder. Hans-Joseph Britz blickt in Gedenken an den Ehren- bürger auf dessen Leben zurück.
 Sonderzüge kamen am Bahnhof Bexbach an, sämtliche Straßenlampen von Mittelbex- bach brannten und waren mit schwarzen Tüchern verhängt, als sich ein unüberseh- barer Trauerzug von der Martinskirche zum
Friedhof bewegte. Geistliche Wür- denträger, Priester, Arbeiter- und Ge- werkschaftssekretä- re und zahllose Gläubige begleite- ten Dr. Ludwig Nieder durch die Straßen des Dor- fes. Bergleute und
Dunzweiler. Er war Ehrenmitglied des örtli- chen Turnverein und brachte den kommu- nistisch angehauchten Verein dazu, christli- ches Gedankengut anzunehmen. Er steht bis heute im Turnverein 1886 in hohen Ehren. Im Protokollbuch des kath. Jünglingsvereins finden sich frühe Aufzeichnungen, die be- reits von seinem späteren Engagement kün- den und die der damalige Präses und Orts- pfarrer als „Kaplanokratie“ abtat und kurzer- hand durchstrich. Nach dem Besuch der hö- heren Schulen in Homburg und Zweibrü- cken ermöglichten ihm Verwandte das Stu- dium der Theologie, ihm lagen die Nöte sei- ner Mitmenschen - vor allem der ärmeren -
Turnkameraden und Bergmänner tragen den Sarg von Dr. Nieder aus der Pfarrkirche
St. Martin
am Herzen. Ihnen wollte er als Seelenführer zur Seite stehen, sie in christlicher Hoffnung begleiten und Wege aus dem Elend aufzei- gen. Als ein Hagelunwetter die Weinernte an der Haardt fast vollständig vernichtete, war es der Diedesfelder Kaplan Nieder, der in Speyer und München vorstellig wurde und erreichte, dass die Winzer Entschädi- gungen bekamen. Er scheute sich nicht, an höchster Stelle für die Notleidenden einzu- treten. Die „Dr.-Nieder-Straße“ in Neustadt- Diedesfeld erinnert bis heute an ihn. Der „Volksverein für das katholische Deutsch- land“ wurde aufgrund seines Engagements auf Nieder aufmerksam und erreichte nach einer Anfrage in Speyer, dass dieser zum Weiterstudium nach München beurlaubt wurde. Im Jahre 1909 schrieb er seine Dis- sertation in Volkswirtschaft über die unge- rechte Entlohnung der Saarbergleute, die sein berühmter Professor Lujo Brentano als „Muster einer tiefschürfenden, neue Aussich-
  Vor 100 Jahren verstarb
Bexbach erster Ehren- Turner trugen den
bürger Dr. Ludwig Nieder
Sarg ihres Kamera-
den und hielten brennende Kerzen und Grubenlampen in den Händen. Wer war dieser junge 41jähri- ge, der von Dompfarrer Gebhard aus Speyer bestattet wurde? Sein Name war in ganz Deutschland bekannt in Zusammenhang mit den Rechten der Arbeiterschaft, vor allem der Bergleute. Als Unterstützer der christli-
Dr. Ludwig Nieder war in ganz Deutschland bekannt in Zusammenhang mit den Rechten der Arbeiterschaft, vor allem der Bergleute
chen Gewerkschaftsbewegung hielt er Kon- takt sowohl zu den deutschen Bischöfen als auch zur Basis, hielt Vorträge in ganz Deutschland und im benachbarten Elsass- Lothringen und veröffentlichte rund 60 Schriften im „Volksverein Mönchenglad- bach“. In dessen Zentrale war er die rechte Hand des späteren Reichsarbeitsministers Heinrich Brauns. Geboren wurde Ludwig Nieder als Sohn des Metzgers Karl Nieder in Bexbach, mitten im saarpfälzischen Koh- lenrevier gelegen. Seine Mutter Anna-Maria stammte aus dem benachbarten pfälzischen
   Ausgabe 114 / Februar 2022
30













































































   28   29   30   31   32