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über den beträchtlichen sexuellen Appetit des Reichspropagandaministers und mehr- fachen Familienvaters, der sich in zahlreiche Liebschaften verstrickte, machte man sich lustig: „Haben Sie schon gehört, dass die Siegessäule jetzt erhöht werden soll? –Wa- rum? Damit Goebbels nicht auch noch an
Titelseite des Alex-Deutsch-Buches der AG Geschichte des Saarpfalz-Gymnasiums (2013)
die letzte Jungfrau in Berlin (Siegesgöttin, Goldelse genannt) herankommen kann.“ Selbst ins Gebet wurde er, „der Ehrenbürger von Schwetzingen“, eingeschlossen: „Lieber Gott, mach mich blind, damit ich Goebbels arisch find.“ Dabei definierte man „Arier“ als „das Hinterteil von einem Proletarier“. Das Brandmotiv spielte im nationalsozialis-
Alex Deutsch am Tag der Feier seiner Bar Miz- wa (religiöse Mündigkeit) vor dem Jüdischen Waisenhaus in Berlin-Pankow (1928), gemalt von Alina Keßler (2013)
tischen Deutschen Reich, insbesondere in der Reichshauptstadt Berlin, vom ersten bis zum letzten Tag eine überragende Rolle – meist in Zusammenhang mit Tod und Ver-
nichtung. Am 30. Januar 1933 symbolisierte der Fackelzug der Hitler-Anhänger durch das Brandenburger Tor als „Freudenfeuer“ noch die euphorische Aufbruchstimmung. Weit- sichtige Intellektuelle erkannten aber die Zei- tenwende, ganz besonders der jüdische Künstler Max Liebermann (1847-1935), der beklagte: „Ick kann ja nich so viel fressen, wie ick kotzen möchte.“ Der Reichstags- brand am 27./28. Februar 1933 wurde von den Nazis als Auftakt zu einem kommunis- tischen Staatsstreich gedeutet und diente ih- nen als Vorwand für eine rigorose Verfol- gungs- und Verhaftungswelle. In der „Reichs- tagsbrandverordnung“ vom 28.2.1933 wur- den – angeblich „zum Schutz von Volk und Staat“ – die Grundrechte aufgehoben. Will- kür und Machtmissbrauch hatten mit dieser heuchlerischen „Notverordnung“ freien Lauf. Der Untergang der Demokratie wurde damit besiegelt. Die Diskriminierung und Aus-
Alex Deutsch als Bäckerlehrling am Petersbur- ger Platz unter der strengen Beobachtung seines Meisters (von Alina Keßler, 2013) schaltung (Berufsverbot, Haft, Folter...) von Intellektuellen, bürgerlichen Oppositionel- len, (meist jüdischen) Schriftstellern, Publi- zisten, Philosophen, Wissenschaftlern und Künstlern führte zu einer hektischen Ausrei- sewelle. Die Bücherverbrennungen in den meisten deutschen Universitätsstädten waren ein weiterer Akt der Kulturbarbarei. Als Schlüsselereignis und Höhepunkt der soge- nannten „Aktion wider den undeutschen Geist“ gilt die demonstrative Vernichtung deutschen Kulturguts am 10. Mai 1933 auf dem ehemaligen Berliner Opernplatz (seit 1947 Bebelplatz, benannt nach August Be- bel, einem der Gründungsväter der deut- schen Sozialdemokratie), die öffentlichkeits- wirksam vor rund 70.000 Teilnehmern in- szeniert wurde. Auch Reichspropagandami- nister Joseph Goebbels hat dort eine „Brand“-Rede gehalten. Eine der unzähligen geächteten Autor(inn)en der Bücherverbren- nung war die versierte jüdische Schriftstel- lerin Mascha Kaléko (1907-1975), die sich zuvor in der Großstadt Berlin sehr wohlge- fühlt hatte und später als Exilautorin in ihrer Lyrik ihre schmerzhaften Erinnerungen an Zensur, Berufsverbot, Verfolgung und Ver- treibung wehmütig thematisierte. Ihr Gedicht „Bleibtreu heißt die Straße“ enthält die Verse: „Hier war mein Glück zu Hause. Und meine Not. / Hier kam mein Kind zur Welt. Und
musste fort. / Hier besuchten mich meine Freunde / und die Gestapo.“ Als Ausdruck des Protests gilt ihr ironischer Text „Mein
Eingang zum Anne-Frank-Zentrum in der Ro- senthaler Straße in Berlin (Hackesche Höfe
schönstes Gedicht“: „Mein schönstes Ge- dicht? / Ich schrieb es nicht. / Aus tiefsten Tiefen stieg es. / Ich schwieg es.“
Ein Mahnmal des israelischen Künstlers Mi- cha Ullman erinnert seit 1995 am Berliner Bebelplatz an die Bücherverbrennung. Es ist ein unterirdischer Raum mit leeren Bücher-
Eine Projektgruppe des Saarpfalz-Gymnasi- ums mit Buddy und Gerti Elias im Deutschen Theater nach dem Festakt zum 80. Geburtstag seiner Cousine Anne Frank (2009)
regalen, abgedeckt mit einer Glasplatte. We- nige Meter weiter ist auf einer Bodenplatte zu lesen: „Das war ein Vorspiel. Nur dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen. – Heinrich Heine, 1820“. Wie Recht er hatte! In der Reichspo- gromnacht am 9./10. November 1938 brannten jüdische Synagogen und Geschäf- te, in den Folgejahren „endeten“ Millionen Juden und andere missliebige Personen in den Verbrennungsöfen (Krematorien) der na- tionalsozialistischen Vernichtungslager – ganz so, wie es im Januar 1942 am Wannsee im Sinne der „Endlösung der Judenfrage“ be- schlossen wurde. Im Zweiten Weltkrieg stan- den große Teile der Welt in Flammen. Es herrschte der totale Krieg, es galt die Taktik der verbrannten Erde, es traf sogar unser „Elbflorenz“, die Kulturmetropole Dresden, die dem Flammeninferno nicht entrinnen konnte.
Berlin, die Reichshauptstadt der nationalso- zialistischen Diktatur, war im Sommer 1936 höchst umstrittener Austragungsort der Olympischen Spiele, die damit ihre Un- schuld als Friedensspiele verloren. Erstmals
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