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Spuren der Freiheit und Unterdrückung
Wie die Berliner dem Leben mit Humor begegnen
Teil 6
Mit ihren solidarischen Hilfsaktionen bewie- sen die demokratischen Staaten des Westens, dass sie nicht bereit waren, die Ausweitung des sowjetischen Machtbereichs hinzuneh-
In seiner lyrischen Fabel „Bewaffneter Frie- de“ thematisiert der humoristische Dichter Wilhelm Busch (1832-1908) ein zeitloses Phänomen: das Problem des friedlichen Zu- sammenlebens. Der Igel fungiert als Stell- vertreter für die friedliebenden Völker, die sich mit ihrer Wehrhaftigkeit gegen poten- tielle Aggressoren schützen. Freiheit, Demo- kratie und Menschenrechte sind zwar gute Voraussetzungen für Frieden, aber sie garan-
Blick vom Reichstagsgebäude aufs Bundeskanzleramt
Frankreich verwaltet wurden. Berlin war nach dem Bombenkrieg eine trostlose Trüm- merwüste. Die Einheimischen spotteten des- halb, die Stadt sei ein einziges Warenhaus: „Da war mal ein Haus, dort war mal ein Haus... – alles zerstört.“ Auch die DDR-Na- tionalhymne bezieht sich mit ihren Anfangs- zeilen „Auferstanden aus Ruinen / und der Zukunft zugewandt“ auf diese Trümmerzeit.
Nachdem die sowjetische Besatzungsmacht alle Land- und Wasserwege von den drei westlichen Zonen (Trizone) nach West-Berlin durch eine Blockade gesperrt hatte, diente die Berliner Luftbrücke (vom 24. Juni 1948 bis 12. Mai 1949) der Versorgung durch Flugzeuge der Westalliierten. Als Initiator gilt der amerikanische Militärgouverneur Lucius D. Clay (1898-1978), der sich damit in die Herzen der Einheimischen einschloss. Fast ein ganzes Jahr lang wurden alle lebens- wichtigen Güter, insbesondere Lebensmittel, Kleidung, Brennstoffe (v.a. Kohlen) und Bau- materialien, unablässig mit Flugzeugen in die Stadt transportiert. Die West-Berliner nannten die Versorgungsflugzeuge liebevoll „Rosinenbomber“, weil sie häufig vor ihrer Landung kleine Päckchen mit Rosinen, Schokolade und anderen Süßigkeiten für die Kinder abwarfen. Seit 1951 erinnert das Luft- brückendenkmal am Platz der Luftbrücke vor dem Flughafen Tempelhof an die Opfer der Luftbrücke. Ein baugleiches Denkmal
Lisa-Marie Goletz und Florian Krenn als Pro- jektteilnehmer des Saarpfalz-Gymnasiums vor der Pressewand im Bundeskanzleramt (2013)
tieren ihn nicht. Auf den Zweiten Weltkrieg (1939-1945) folgte der Kalte Krieg, der durch ein Gleichgewicht des Schreckens geprägt war: mit gigantischer Aufrüstung und ato- marer Bedrohung zwischen dem westlichen Lager unter der Führung der USA und dem östliches unter der Hegemonie (Vorherr- schaft) der Sowjetunion. Die NATO wurde 1949 als Verteidigungsbündnis von europäi- schen und nordamerikanischen Mitgliedstaa- ten gegründet, um dem sowjetischen Expan- sionsdrang entgegenzuwirken. Ihr Leitgedan- ke ist bis heute die Sicherung von weltwei- tem Frieden und Stabilität, aber auch Wehr- haftigkeit im Falle eines gegnerischen An- griffes. Ein Brennpunkt dieses Ost-West-Kon-
flikts war Berlin. Die Stadt lag wie eine Insel in der sozialistischen Ostzone, die von der Sowjetunion beherrscht wurde. Die Einhei- mischen witzelten: „Wie eine Insel im roten Meer.“ Mitten durch die Stadt verlief die Grenze zwischen Ost und West. Als das Deutsche Reich 1945 nach der be- dingungslosen Kapitulation aufgelöst und in Besatzungszonen aufgeteilt wurde, entstan- den auch in der ehemaligen Reichshaupt- stadt vier Besatzungszonen, die von der Sowjetunion, den USA, Großbritannien und
Im Plenarsaal des Deutschen Bundestages (2013)
men. Gemeinsam mit den West-Berlinern waren sie bereit, für Freiheit und Demokratie zu kämpfen und Opfer zu bringen. Durch die Blockade wurden aber auch die Teilung Deutschlands und der Stadt Berlin zemen- tiert. Die Luftbrücke förderte zudem die Westbindung der Bundesrepublik Deutsch- land, die am 23. Mai 1949 entstand, und die Ostintegration der Deutschen Demokra- tischen Republik, die am 7. Oktober 1949 gegründet wurde. West-Berlin war bis 1989 allein nicht lebensfähig und wurde daher mit Bundeshilfen unterstützt. Im Westen war man in den folgenden Jahrzehnten davon überzeugt, dass die schlimmste Gefahr für den Frieden von der Sowjetunion (UdSSR, d.h. Union der Sozialistischen Sowjetrepu- bliken) ausging. Die Bürger(innen) der DDR schlitterten von der Diktatur der National- sozialisten geradewegs in den nächsten Un- rechts-, Willkür- und Überwachungsstaat: ei- ne sozialistische Diktatur. Während zahlrei- che Oppositionelle hinter den Mauern Ho-
Eine Oberstufengruppe des Saarpfalz-Gymnasiums vor der Kanzlergalerie im Bundeskanzleramt (2011)
henschönhausens, Bautzens und anderer Gefängnisse schmachteten, feierte die staat- liche Propaganda die „Segnungen des real existierenden Sozialismus“ und die angeb- liche Freiheit des Volkes. Das „Lied der Par- tei“ glorifizierte die DDR-Staatspartei SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands). Sie duldete keine Kritik und betonte dogma- tisch ihren Absolutheitsanspruch mit der
wurde beim Flughafen Frankfurt errichtet.
Ganz unverhofft, an einem Hügel, / sind sich begegnet Fuchs und Igel. // „Halt“, rief der Fuchs, „du Bösewicht! / Kennst du des Königs Ordre nicht? / Ist nicht der Friede längst verkündigt, / und weißt du nicht, dass jeder sün- digt, / der immer noch gerüstet geht? / Im Namen Seiner Majestät, / geh her und übergib dein Fell!“ // Der Igel sprach: „Nur nicht so schnell! / Lass dir erst deine Zähne brechen, / dann wol- len wir uns weiter sprechen!“ // Und also gleich macht er sich rund, / schließt seinen dichten Stachelbund / und trotzt getrost der ganzen Welt, / bewaffnet, doch als Friedensheld.
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