Page 13 - Ausgabe 117 / Mai 2022
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 Büsten von George Bush sen., Michail Gor- batschow und Helmut Kohl, den Architekten der Deutschen Einheit 1990, vor dem Axel- Springer-Verlagsgebäude in Berlin-Mitte
des 17. Juni / ließ der Sekretär des Schrift- stellerverbands / in der Stalinallee Flugblätter verteilen, / auf denen zu lesen war, dass das Volk / das Vertrauen der Regierung ver- scherzt habe / und es nur durch verdoppelte Arbeit / zurückerobern könne. Wäre es da / nicht doch einfacher, die Regierung / löste das Volk auf und / wählte ein anderes?“ Brecht wird zudem die Einsicht zugeschrie- ben: „Die Bürger werden eines Tages nicht nur die Worte und Taten der Politiker zu be- reuen haben, sondern auch das furchtbare Schweigen der Mehrheit.“
Viele unzufriedene DDR-Bürger(innen) kehr- ten ihrem jungen sozialistischen Staat ent- täuscht den Rücken zu. Jeden Monat flohen Tausende über Berlin in den freien Westen.
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 Beeindruckend ist heutzutage die „Gedenk- stätte Berliner Mauer“ an der Bernauer Stra- ße, die seit dem Beginn des Mauerbaus am 13. August 1961 im Brennpunkt der Öffent- lichkeit stand. Hier teilte die Mauer ein seit Anfang des 19. Jahrhunderts entstandenes innerstädtisches und im Krieg weitgehend intakt gebliebenes Wohngebiet. Mehr als 2000 Bewohner aus den „Grenzhäusern“ wurden zwangsweise umgesiedelt und ver-
 Gedenkkreuze an die Maueropfer am Rand des Großen Tiergartens vor dem Reichstag
trieben, ihre gespenstisch anmutenden zu- gemauerten Häuser waren unübersehbare Zeichen von Unfreiheit und Menschenver- achtung in der SED-Diktatur. Hier spielten sich dramatische Fluchtversuche ab, hier wa- ren auch die ersten Mauertoten zu beklagen. Dort, wo 1985 mitten im Sperrgebiet die Versöhnungskirche „aus Sicherheitsgründen“ gesprengt wurde, befindet sich jetzt der am 9. November 2000 eingeweihte Neubau der
Bertolt-Brecht-Denkmal vor dem Berliner Ensemble
„Kapelle der Versöhnung“. In diesem schlichten, aber architektonisch reizvollen Gebäude finden seit dem 13. August 2005 täglich Gedenkandachten für die Todesopfer an der Berliner Mauer statt.
Ein sehr berührendes Phänomen waren die Mauerhasen im grünen Grenzstreifen zwi- schen Ost- und West-Berlin. Sie lebten zu Tausenden am Todesstreifen, der für sie zu-
 Ohrwurmzeile: „Die Partei, die Partei, die hat immer Recht“.
Der regimetreue Schriftsteller Bertolt Brecht, der einst so energisch gegen die NS-Diktatur polemisiert hatte, unterstützte auch noch nach dem Volksaufstand des 17. Juni 1953 die SED. Allerdings lässt er in seinem brüs- kierenden Gedicht „Die Lösung“ eine kriti- sche Distanz erkennen: „Nach dem Aufstand
Staats- und Parteichef Walter Ulbricht (1893- 1973) deshalb die offene Grenze zwischen dem West- und Ostteil Berlins nicht länger akzeptieren wollte. Noch am 15. Juni 1961 betonte er aber in einer Pressekonferenz: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!“ Doch zwei Monate nach dem Dementi wurde die Berliner Mauer gebaut – und Ulbricht gilt von da an als einer der dreisten Lügner der Geschichte. Berlin war 28 Jahre lang durch die Mauer und Stachel- draht geteilt (1961-1989). Sie war das teu- erste Bauwerk der DDR und eine perfekte Projektionsfläche für westliche Künstler(in- nen) mit ihrer kritisch-kreativen „Mauer- kunst“.
Wer in den Westen fliehen wollte, musste damit rechnen, kaltblütig erschossen zu wer- den. Vielen Menschen gelang mit großem Erfindungsreichtum die abenteuerliche „Re- publikflucht“, Hunderte verloren dabei ihr Leben, Tausende wurden, weil sie erwischt wurden, mit Repressalien hart bestraft. Eine
Alexander Jung aus der AG Geschichte des Saarpfalz-Gymnasiums (2009) bei DDR-Kos- monaut Sigmund Jähn (1937-2019), dem ersten Deutschen im Weltraum
der bekanntesten Republikflüchtlinge ist Jutta Gallus, die international populär wurde als „Die Frau vom Checkpoint Charlie“. Sie sorgte in den 1980er Jahren für ein medien- wirksames Aufsehen, ihre Lebensgeschichte wurde unter diesem Titel in einem Buch und einem sehr berührenden zweiteiligen Fern- sehfilm weltbekannt. Sehenswert sind auch der preisgekrönte Politthriller „Das Leben der Anderen“ (u.a. Oscar-Verleihung) über die rigorosen Machenschaften der Stasi (Staatssicherheit) und das politische Melo- dram „Das Versprechen“ der Regisseurin Margarethe von Trotta, die das Scheitern ei- ner Liebe mit einer zeitgeschichtlichen Be- standsaufnahme des Lebens im geteilten Deutschland zur Zeit des Kalten Krieges ver- bindet.
   Nostalgischer Autopark von Trabants („Trab- bis“), dem DDR-Statussymbol, in Berlin-Mitte (2021)
Der hohe Verlust frustrierter Facharbeiter und Akademiker schädigte die Wirtschaftskraft der DDR enorm. Außerdem arbeiteten rund 50.000 Ost-Berliner im Westteil der Stadt. Sie konnten mit der D-Mark, die etwa vier- mal so viel wert war wie die DDR-Mark, ein spürbar besseres Leben führen als die Mehr- heit im Osten. Wir wissen, dass der DDR-
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