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 Restaurants ausgeben und die Nächte in ei- nem der vielen reizvollen Lokale bei Fado- Musik genießen und durchtanzen. Fado (von lateinisch fatum, d.h. Schicksal) ist ein ty- pisch portugiesischer Musik- und Vortragsstil, ein Teil der portugiesischen Volksseele. Die Texte handeln von unglücklicher Liebe, Ar- mut und sozialen Missständen, Vergänglich-
 Klosterkirche „Mosteiro dos Jerónimos“ aus der Zeit des Königs Manuel I. (1495-1521)
keit und Scheitern, Weltschmerz und Sehn- sucht nach besseren Zeiten. Portugal ist nach der glanzvollen Epoche des Seefahrer-Welt- reiches völlig verarmt und wurde zum Aus- wandererland. Als Seefahrernation waren die Portugiesen ohnehin eng mit dem Meer ver- bunden. Abschied nehmen, Heim- und Fern- weh – diese Grunderfahrungen waren ihnen ebenso vertraut wie die einstige Pracht und verlorene Größe. Daraus entstand eine See- lenstimmung, die sie „saudale“ nennen: Wehmut, Melancholie und Sehnsucht. Das
Teil des Seefahrer-Denkmals am Tejo-Ufer von Belém mit Heinrich dem Seefahrer an der Spitze
alles strahlt die Fado-Musik aus. Sie enthält unter anderem arabische Elemente, Tonhö- hensprünge und Mollmelodien. Angeblich haben portugiesische Troubadoure im Mit- telalter die schwermütigen Liebeslieder der Mauren adaptiert. Möglicherweise hat der Fado aber auch afrikanische Wurzeln aus der Zeit des Sklavenhandels Richtung Brasi- lien (wo man übrigens heute noch Portugie- sisch spricht). Lange Zeit war er berüchtigt als Musik der Seeleute in den Hafenspelun- ken, von zwielichtigen Stadtstreichern, Zu- hältern, Freudenmädchen und unglücklich Verliebten. Erst im 19. Jahrhundert wurde er gesellschaftsfähig, vor allem durch den Zu- spruch adliger Müßiggänger, die sich in den „casas de fado“ amüsierten. Großartige Fa- do-Sänger(innen), „fadista“ genannt, mach-
Fado-Sänger an der Aussichtsterrasse „Miradouro de Santa Luzia“ oberhalb der Ka- thedrale von Lissabon
ten im 20. Jahrhundert diesen Musikstil welt- weit bekannt. Das „Museu do Fado“ in Lis- sabons ältestem Stadtteil Alfama widmet sich dem musikalischen Erbe Portugals und ver- anstaltet in seinem Auditorium musikalische Auftritte von renommierten Künstler(inne)n. Eine ebenfalls melancholische Grundstim- mung vermittelt der Bestseller-Roman „Nachtzug nach Lissabon“ von Pascal Mer- cier (Pseudonym des Berliner Professors Pe- ter Bieri) aus dem Jahr 2004. Er erzählt von
  Fassade eines Fado-Lokals in Lissabons ältestem Stadtteil Alfama
einem Schweizer Altphilologen, der eine schicksalhafte Begegnung mit einer jungen Portugiesin hat und sich Hals über Kopf eine Zugfahrkarte nach Lissabon kauft, um den Spuren eines geheimnisvollen Autors zu fol- gen. Dadurch verändert sich sein eigenes Leben gravierend. Der gleichnamige Film hatte bei der Berlinale 2013 Weltpremiere. Durch die Gassen Lissabons weht stets eine frische Atlantikbrise und seine Hügel garan- tieren fantastische Aussichtspunkte. Von der weitläufigen Festungsanlage „Castelo de São
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 brücke „Ponte 25 de Abril“ genießen. In der Festung hoch über Alfama, die von den Mau- ren erbaut worden war, residierten nach de- ren Vertreibung die portugiesischen Könige. Besonders attraktiv ist eine Fahrt mit den zahlreichen Straßenbahnen, die den Flair von vergangenen Epochen und ein mitrei- ßendes Lebensgefühl ausstrahlen. Die Stra-
 Das Fado-Museum in Alfama
ßenbahnen haben in Lissabon eine lange Tradition. Bereits 1870 nahm im Rahmen der Industrialisierung eine Dampfstraßen- bahn, 1873 die zweigleisige Pferdebahn „O Americano“ ihren Betrieb auf. 1901 fuhr die erste elektrische Straßenbahn („Eléctrico“). Mit ihr kann man sich heute noch durch die schmalen Altstadtgassen der Tejostadt schau- keln lassen, auf engen, hügeligen Strecken, die von modernen Wagen nicht gut befahren werden können. Eine Fahrt mit der histori- schen Linie 28, die Lissabon von Ost nach West durchquert, vorbei an den wichtigsten
Festliche Dekoration in Lissabons Szeneviertel Alfama
Sehenswürdigkeiten, ist besonders empfeh- lenswert, obwohl diese legendäre, muse- umsreife „Sightseeing-Tram“ fast immer überfüllt ist und von Fahrgästen zuweilen „Strapazenbahn“ genannt wird. Hans Mag- nus Enzensberger widmete ihr 1987 in sei- nen „Portugiesischen Grübeleien“ eine ehr- fürchtige Passage. Durch die Bezirke Baixa und Alfama fährt die klassisch-gelbe Stra- ßenbahn der Linie 12, die ebenfalls sehr be- liebt ist, weil sie mühelos steile Anstiege und scharfe Kurven bewältigen kann. Lissabon ist eine Stadt zum Verlieben: mit einer angenehmen Mischung aus Tradition und Moderne – lebensfroh, kreativ, unge- zwungen und elegant, mit vielen Attraktio- nen. Sein Ozeanarium enthält das größte In- door-Aquarium Europas. Eine Fahrt mit der Seilbahn „Teleférico do Parque das Nações“
   Galerie von lautenähnlichen Fado-Gitarren im Hotel „Vila Galé Ópera“ in Lissabon
Jorge“ aus kann man einen Panoramablick über die Altstadt mit ihren pastellfarbenen Häusern, die Tejomündung und die Hänge-
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