Page 56 - Ausgabe 031 / März 2015
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Die Rückgliederung der Saar am 1. März 1935 Aus dem Miteinander wurde ein Gegeneinander. Bereits 1931 hatte sich in Homburg eine Sektion der paramilitärischen „SA“ (Abk. „Sturmabteilung“) gegründet. Sie war mit rund 16 Angehörigen recht rührig in Propagandaangelegenheiten, indem sie in Homburg, Erbach, Reichskirchen, Klei- nottweiler, Limbach und Beeden für die Na- tionalsozialisten warb.
Ab elf Uhr in der Nacht
begannen die Aktionen.
Zeitungszitat: „Unter den Haustüren hin- durch flogen die Flugblätter...vielleicht stei- gen da morgen früh schon einige Nazis aus den Betten...so wurden die Gedanken, die Idee des Führers, über die Grenzen hinweg in unsere Saarheimat getragen. Aus der klei- nen Schar von jener Zeit wurde das volk- und führerverbundene freie Saarvolk.“
Der englische Hauptmann Selbi übergibt in der Nacht die Abstimmungsurnen aus Mittelbexbach
Zahlreiche Bilder vom Jahresanfang 1935 zeigen das alte Homburger Rathaus bzw. Bürgermeisteramt und das daneben stehende Schuhhaus von Ludwig Wolf, auf dem zu lesen ist: „Totalausverkauf“. Anfang Septem- ber 1933 fand der erste Räumungsverkauf des ehemaligen Stadtrats Leo Hirsch in der Eisenbahnstraße 19 statt. Seine Tochter Lilly hatte im gleichen Jahr den Lehrer der jüdi- schen Schule, Salo Lewin aus der Kanalstra- ße, geheiratet. Mangels Schülern musste er seinen Dienst quittieren und zog mit seiner Frau nach Frankreich, wo 1934 Sohn Ruben zur Welt kam. Danach ging Lewin nach Je- rusalem. In den 60er Jahren kehrte er nach Deutschland zurück und wurde ein uner- müdlicher Streiter in der christlich-jüdischen Begegnung. 1980 wurde er im Umfeld der Wehrsportgruppe Hoffmann ermorde. Sein Name steht in Erlangen und Nürnberg bis heute in hohen Ehren. In Homburg ist es an der Zeit, sich seiner zu erinnern. Ulrich Chaussy hat dem Träger des Bundesver- dienstkreuzes Lewin in seinem neu aufge- legten Buch über das Oktoberfest-Attentat ganz aktuell ein eigenes Kapitel gewidmet.
Bis Januar 1935 war ein gutes Drittel der Homburger Juden bereits emigriert. Von den im Jahr 1933 gemeldeten 163 Bürgern jüdi- schen Glaubens hatten bis zur Rückgliede- rung 135 ihre Heimatstadt verlassen. Die Namen aller jüdischen Bürger Homburgs sind seit zwei Jahren am Eingang der ehe- maligen Synagoge in der Klostergasse ver- ewigt. 1936 lebten 33 Bürger hier und am Tag der Deportation gerade einmal 16. Da- nach war Homburg „judenrein“ in Sinne der Nationalsozialisten. Allzu großes Bedauern scheint der Weggang der jüdischen Bevöl- kerung dem Rest der Homburger nicht be- reitet zu haben, obwohl sich in den Jahr- zehnten zuvor das Verhältnis von einem „Nebeneinander“ bis hin zu einem „Mitein- ander“ gewandelt hatte. Juden saßen im Stadtrat, waren in Vereinen aktiv, hatten im Weltkrieg für Deutschland gekämpft, gehör- ten irgendwann „dazu“. Dennoch gab es an- gesichts ihres rasanten Wegzugs wenig Sym- pathiebekundungen und Widerstand hielt sich sehr in Grenzen. Sicher: verschiedene Ausschreitungen gegenüber Juden sah man nicht gerne, schaute lieber weg, selten wurde eingegriffen und den Bedrohten geholfen. Umso höher sind die wenigen mutigen Hil- festellungen einzustufen.
Wörschweiler huldigt dem Neuen Reich
„Um so größer ist unser Stolz...“
Von überallher kamen die zum Teil weit weg bis nach Übersee Wohnenden in ihre Hei- matorte zur Wahl. Für die Bahnstationen Homburg und Bexbach wurden eigene Ab- stimmungs-Sonderzüge- und Fahrten einge- richtet. Alte und Kranke transportierte das Rote Kreuz ins Wahllokal; der älteste Ab- stimmungsberechtigte von Homburg war der ehrenwerte Gründer der Karlsberg-Brauerei, Christian Weber. Am 30. Januar 1935 wurde er zum Homburger Ehrenbürger ernannt. Die Wahllokale öffneten um 8.30 Uhr und schlossen um 20.00 Uhr. In Homburg wurde gewählt im Volksschulhaus (Hohenburgschu- le), im Lyzeum und im Reformrealgymna- sium. In Mittelbexbach waren die beiden Schulen und das Bürgermeisteramt Wahllo- kale. Der Wahlvorsitz wurde einem der sta- tionierten neutralen Ausländer übertragen, der mit den Beisitzern die Richtigkeit der Wahl protokollierte. Abends wurden die Wahlurnen versiegelt. Das Schauspiel des Abtransports lockte viele Neugierige an. Die Engländer bewachten die Vorgänge. Von Mittelbexbach aus geleiteten sie die Urnen nach Homburg, von dort ging es weiter in die Saarbrücker Wartburg, wo anderntags die Auszählung erfolgte, wieder unter Be- wachung internationaler Truppen. Am 15. Januar, morgens 8.00 Uhr wurde das Ab- stimmungsergebnis vom Saarbevollmächtig-
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abend des Weihnachtsfestes erinnert und stellt fest: “Morgen Kinder wird’s was geben – morgen werden wir uns freu‘n...“ Am Ab- stimmungstag sah es dann ganz anders aus. Morgens kamen die Fahnen an die Stangen: Schwarz-Weiß-Rot oder Hakenkreuz.
Die Wahl an sich, so Hugo Fell, lief korrekt ab; Manipulationen waren nicht möglich, weil die ausländischen Beobachter und eine Menge neutraler Bürovorsteher eingesetzt waren. Morgens um 6.00 Uhr läuteten statt der Betglocke sämtliche Glocken von allen Kirchtürmen. Kein Haus ohne wehende Fah- nen, Kränze, Hindenburglichtern und Ha- kenkreuzen. Die kleinsten Gemeinden hat- ten sich herausgeputzt wie kaum zuvor. Selbst die legendäre Jahrtausendfeier konnte hier nicht mehr konkurrieren. Nur der fest- gelegte Tag der offiziellen Rückgliederung am 1. März 1935 übertraf das bisherige.
Hitler fährt durch Homburg
Weißer Schnee, schwarze Fahnen,
rote Hakenkreuze
Der 13. Januar 1935 war ein eisiger Winter- sonntag. Schnee lag vom Schlossberg bis zum Höcherberg. Schon am Vorabend wur- den an den Häusern leere Fahnenstangen mit Tannengrün aufgesteckt, weil die Regie- rungskommission bis zum Wahltag selbst Flaggenverbot erteilt hatte. Die meisten Fah- nenstangen waren bereits schwarz-weiß-rot angestrichen. Ein Ritual, das schon im Vor- feld der Rheinischen Jahrtausendfeier von 1925 angewandt wurde. Der Berichterstatter der „Saarpfalz“ fühlt sich beim Anblick der schneebedeckten Tannen am Straßenrand und den leeren Fahnenstangen an den Vor-
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