Page 26 - Ausgabe 099 / November 2020
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brechen. Die auf Sensationslust ausgerichtete Fernsehserie „Babylon Berlin“ spiegelt seit 2017 diese Atmosphäre im Sumpf von Dro- gen, Extremismus, Korruption und Gewalt wider. In ihrer Vergnügungssucht und Aus- gelassenheit ahnten die Menschen nicht, dass sie bereits in die nächste Katastrophe taumelten, weil sie politischen Rattenfängern vertrauten, die vor Massenmorden nicht zu- rückschreckten und den Zweiten Weltkrieg entfesselten.
In der Homburger Tanzschule Srutek: Schü-
ler(innen) der Klasse 9d im Gespräch mit In- haberin Mirjam Srutek und Tanzlehrer „Fedo“
Die Saarregion befand sich in der Zeit von 1920 bis zur Volksabstimmung 1935 auf ei- nem Sonderweg. Mit dem Inkrafttreten des Versailler Vertrages am 10. Januar 1920 ent- stand das Saargebiet als neue politische Ein- heit und wurde der Verwaltung des ebenfalls neu gegründeten Völkerbunds unterstellt. Die Ausstellung „Die 20er-Jahre“ beleuchtet die ganze fünfzehnjährige Ära von der Ent- stehung bis zum Wiederanschluss an das Deutsche Reich 1935. Aus heutiger Sicht er- scheint es nahezu unvorstellbar, dass die Wahlbeteiligung bei der Volksabstimmung am 13. Januar 1935, einem eiskalten Win- tertag, bei 98 Prozent lag. Die große Mehr- heit von rund 90 Prozent entschied sich für den Anschluss an das Deutsche Reich unter Adolf Hitler. Die Landeshauptstadt Saarbrü- cken erinnert an diese Volksabstimmung heutzutage immer noch mit der „Straße des 13. Januar“. Sie führt geradewegs zum Saar- brücker Schlachthof. Welch eine symbol- trächtige Ironie der Geschichte!
Es geht in der Ausstellung neben den politi- schen Entscheidungen um die vielfältigen Kriegsfolgen in der Besatzungszeit, um De- mütigungen durch fremdländische Garni- sonstruppen („die schwarze Schmach“), um Konflikte mit der französischen Vormacht, die Verwaltung und Ausbeutung saarländi- scher Gruben („Ärger um die Kohle“) und Proteste gegen die französischen Domanial- schulen mit ihrem verpflichtenden Franzö-
sischunterricht. Thematisiert werden aber auch die fortschreitende Modernisierung, Elektrifizierung, technische Innovationen und die zunehmende Mobilität der Saarlän- der(innen) mit Fahrrädern, Motorrädern und Autos. Auf besonders großes Interesse stoßen dabei die neue, praktischere Mode und viel- fältige Freizeitmöglichkeiten, Werbe-Anzei- gen verschiedenster Art, elektronische Haus- haltsgeräte, die Saarbrücker Geschäftswelt und Vergnügungsmöglichkeiten, die das neue Lebensgefühl symbolisieren. Die Aus- stellung inszeniert eine Straßenszene, die das alltägliche Leben mit dem sozialen Mit- einander, aber auch mit ihren Problemen widerspiegelt, und simuliert dabei mit ent- sprechender Beleuchtung einen Tag-und- Nacht-Wechsel. „Wenn man ein Auto hatte, war man schon wer“, betonte die Ausstel- lungsbegleiterin „Frieda“. Sie erzählte bei ihrem Rundgang interessante Episoden aus
Laurin Seichter, Fynn Jödden und Malek Al Kadah (v.l.n.r.) vergleichen in der AG Ge- schichte des Saarpfalz-Gymnasiums ihre Gegenwart mit den Goldenen Zwanzigern des vergangenen Jahrhunderts
dieser Zeit, erläuterte die Ausstellungsgegen- stände und verwies dabei u.a. auf Kriegsver- sehrte (mit Krücken und Prothesen, „Kriegs- zitterer“), Existenzängste, jüdisches Leben im Saargebiet, beliebte jüdische Geschäfte, die Unterhaltungsindustrie, Filmsequenzen über Vergewaltigung und Abtreibung („Kreuzzug des Weibes“), die landestypische Vereinskultur und Feste (z.B. die Jahrhun- dertfeier der Rheinlande 1925 mit ihrem ho- hen Propaganda-Effekt). Alle charakteristi- schen Elemente der Goldenen Zwanziger sind in Saarbrücken nachweisbar, allerdings bescheidener, etwas weniger schrill und ex- travagant als in den großen Weltmetropolen. Als Höhepunkt präsentierte „Frieda“ vor den Schautafeln der Tanzdiele des Saarbrücker Hotels „Monopol“ mit spürbarer Leiden- schaft eine kleine Kostprobe des legendären Charleston, begleitet von der Ohrwurm-Mu- sik der Goldenen Zwanziger. Sie entfachte
damit eine enorme Begeisterung. Es war des- halb folgerichtig, den Jugendlichen auch noch einen Charleston-Schnellkurs in der Homburger Tanzschule Srutek anzubieten. Der junge und dynamische Tanzlehrer mit dem klangvollen Namen Federico Remigio Puma Murillo, kurz „Fedo“, vermittelte den Schüler(inne)n in der Folgewoche das Le- bensgefühl der tanzlustigen Avantgarde der Goldenen Zwanziger, indem er ihnen Charleston und Lindy Hop beibrachte – die Grundschritte mit Variationen, aber auch Hintergrundwissen dazu. Der Charleston wurde in den USA von Afroamerikanern ent- wickelt und hat seinen Namen von der Ha- fenstadt Charleston in South Carolina. In Eu- ropa wurde er seit 1925 durch die faszinie- rende Tänzerin Josephine Baker (1906-1975) populär, die wegen ihrer Attraktivität und lustvollen Freizügigkeit als „Schwarze Ve- nus“, später aber auch als Vorkämpferin ge- gen Rassismus verehrt wurde. Sie gab das Motto aus: „Viele Frauen sind nur auf ihren guten Ruf bedacht, aber die anderen werden glücklich.“ Der Charleston lebt von schnel- len rhythmischen Bewegungen mit Hüften, Armen und Beinen, die bis zur Ekstase füh- ren können und daher in konservativen Krei- sen als unsittlich und provozierend galten.
„Fedo“ bringt den hochmotivierten Schüler(inne)n des Saarpfalz-Gymnasiums Charleston bei.
Lindy Hop ist ein Swingtanz, der Elemente des Charleston übernahm und mit ihm sogar zu Lindy Charleston verschmolz. „Fedo“ würdigte die völkerverbindende Funktion dieser Tänze. Sie seien die Ersten gewesen, die Schwarze und Weiße zusammen getanzt haben. Schließlich lobte er in einer E-Mail die „super motivierte Truppe des Saarpfalz- Gymnasiums. Da hat’s mir gleich doppelt und dreifach Spaß gemacht, mit den Schü- lern mitzuschwitzen! Gerade in diesen schwierigen Zeiten sind Sport und Spaß eine willkommene Abwechslung. Wir in der Tanzschule Srutek sind immer froh, wenn wir anderen positive Gefühle mit in ihren Tag geben können, auch wenn das unter
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