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genössischen Polemik und Propaganda for- derte man deshalb gnadenlos den Tod des vermeintlichen Ketzers, Kirchen- und Reichs- spalters. Die Nachwelt instrumentalisierte Luther wegen seiner forschen Kampfansage gegen den Ablasshandel und seines mutigen Auftretens gegenüber den Autoritäten zum deutschnationalen Volkshelden gegen Aus- beutung und Machtmissbrauch. Er wurde zur Symbolfigur gegen Feinde aller Art. Als
Alina Keßler aus der AG Geschichte des Saar- pfalz-Gymnasiums schenkte im November 2009 ihrem Pfarrer Winfried Anslinger ein selbst angefertigtes Porträt von Martin Luther für den Gemeindesaal der Protestantischen Kirche ihres Heimatortes Beeden
Vorbild taugt er bis zur Gegenwart aber nur partiell. Er war eine starke, aber – wie so viele bedeutende (und weniger prominente) Menschen – eine ambivalente Persönlichkeit mit Licht- und Schattenseiten. Als engagierter Theologe mit großer Überzeugungskraft und Mut zur Kritik wirkte er authentisch und fas- zinierte schon seine Zeitgenossen. Für sie
freudige Leidenschaft liebte. Seine spekta- kuläre Ehe mit der „Lutherin“, der ehemali- gen Zisterzienser-Nonne Katharina von Bora, die er wegen ihrer Entschlusskraft und flei-
Blick in die Druckerwerkstatt von Lucas Cra-
nach in Wittenberg, wo die Ideen der Refor- mation in Flugschriften vervielfältigt und Por- träts ihrer Protagonisten angefertigt wurden
ßigen Unterstützung im Haushalt respektvoll als „mein Herr Käthe“ nannte, verlief weit- gehend glücklich. Aus ihr gingen sechs Kin- der hervor. „Bei den Kindern muss angefan- gen werden, wenn es im Staate besser wer- den soll“, so lautete das Credo des Theolo- gen. Damit stand er im Einklang mit seinem Mitstreiter Philipp Melanchthon, der in Wit- tenberg – ebenso wie der Maler und Buch- drucker Lucas Cranach der Ältere – in seiner unmittelbaren Nähe wohnte. Melanchthon war als Humanist und Wittenberger Univer-
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sitätsprofessor die treibende Kraft der kir- chenpolitischen Reformation und wurde we- gen seiner Förderung des Schulsystems auch „Praeceptor Germaniae“ (Lehrer Deutsch- lands) genannt. Er erscheint weniger umstrit- ten als Luther. Kritikwürdig aus heutiger Sicht sind vor allem die rigorosen Standpunkte Luthers, mit denen er jedoch ein „Kind sei-
Teil des repräsentativen Lutherhauses in Wittenberg
ner Zeit“ war: Er forderte die Todesstrafe für Ehebrecher(innen), befürwortete die Hexen- verfolgungen, schürte den Judenhass (Anti- semitismus), war wenig sensibel gegenüber den aufständischen Bauern und forderte de- ren gnadenlose Bestrafung im Bauernkrieg 1524/25. Außerdem neigte er zum Jähzorn, zu Grob- und Derbheiten. Die Lutherzeit war noch keine Epoche der Demokratie und Menschenrechte. Ihr Protagonist sollte des-
Die Schlosskirche zu Wittenberg (Sachsen-Anhalt) mit Besuchern vor dem Eingangsportal (Thesentür)
war er nicht nur ein gewissenhafter Prediger und Seelsorger, sondern auch ein erfolgrei- cher Rebell gegen Obrigkeiten und allerlei Missstände. Er war als treuer Diener Gottes populär, ebenso als Patriarch mit viel Fami- liensinn und Esprit, als Musikliebhaber und Lautenspieler, als guter Gastgeber und Bier- trinker, der die Geselligkeit und die genuss-
Wandtransparent zur Landesausstellung „Hier stehe ich. Gewissen und Protest – 1521 bis 2021“ vor der Kulisse des Wormser Domes
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