Page 30 - Ausgabe 116 / April 2022
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 Der Saarpfalz-Kreis und die Ukraine
Aktuelle Geschehnisse bringen Vergangenes hoch
„Memorial“ wurde im Dezember 2021 vom obersten Gericht Russlands aufgelöst. Sie entstand im Herbst 1987 zur Zeit der von Generalsekretär Michail Gorbatschow pro- pagierten Politik von Glasnost und Perestroi- ka als Bewegung zunächst in Moskau, dann auch in anderen Landesteilen. Sie entstand nicht auf Beschluss von oben, sondern als Form politisch-gesellschaftlicher Selbstorga- nisation von unten. Aber diese Friedensbe- wegung ist autokratischen und diktatorischen Staaten ein Dorn im Auge und so müssen in Russland all jene Menschen guten Willens mit unangenehmsten Folgen und Repressa- lien, die für die Freiheit der Ukraine und ge- gen den Krieg auf die Straße gehen. Somit steht dieses unscheinbare kleine Kreuz für die schrecklichen Geschehnisse in der Ukrai- ne, für die Zerstörung. Es ist höchste Zeit, dass man in Homburg sich dieses nicht nur symbolischen Gedenkortes mehr bewusst wird.
Antrag auf Gedenkstein ist längst gestellt
Bereits vor einem halben Jahr wurde bei der Stadt Homburg von privater Seite aus die Aufstellung eines Gedenksteines angeregt, der die Vorbeikommenden an die Gescheh- nisse von damals erinnern und aufklären soll, weshalb hier ein Kreuz steht. Erfolgt ist bisher nichts. Auch die Staatskanzlei, der über den Landtag eine entsprechende Peti- tion in dieser Angelegenheit übermittelt wur- de, sieht keine Veranlassung. Man begnügt sich dort mit dem Hinweis auf einen kleinen Grabstein auf dem ehemaligen Anstaltsfried- hof, heute Uni Homburg, der dem Geden- ken an 29 russische Märtyrer gewidmet ist. Weit über die zehnfache Anzahl Kriegsge- fangener hat in Homburg und Umgebung ihr Leben verloren. Sie alle waren auch keine Märtyrer, denn diese geben freiwillig ihr Le- ben her. Man tut sich in Homburg schwer
Dipl.Theol. Hans-Joseph Britz und Pfarrer Herbert Gräff überreichen Rektor Petrynko die historischen Messkelche
mit der Erinnerungskultur, auch wenn sie ak- tuelle Bezüge aufweist. Wenn auch viele Zeitgenossen im 3. Jahrtausend unserer Zeit- rechnung die Ansicht vertreten, endlich mit dem „Rühren in der Vergangenheit des Drit- ten Reiches“ aufzuhören, kann dem keines- falls entsprochen werden. Zu Vieles ist über- haupt noch nicht aufgeklärt und aufgearbei-
 So weit weg ist der Krieg in der Ukrai- ne und doch so nah, viele Menschen flüchten vor den Grausamkeiten zu uns und wir alle fühlen mit den Flie- henden. Und manchmal hat man das Gefühl, dass Geschichte ihre Wieder- holung findet. Der Historiker Hans-Jo- seph Britz erinnert an gemeinsame Geschehnisse der Universitätsstadt Homburg und der Ukraine.
Mariuopol ist eine stark umkämpfte Hafen- stadt in der Ostukraine mit mehr als doppelt so vielen Einwohnern als unsere Landes- hauptstadt Saarbrücken. Durch die Medien ist sie in Deutschland als Ziel der russischen Invasion bekannt geworden. Aus Mariupol stammte auch ein junger Soldat namens Bo- ris Posdjakow. Seine letzten Lebenstage in deutscher Kriegsgefangenschaft während des 2. Weltkrieges verbrachte er in einem Lager im Bexbacher Falzziegelwerk in der Gru- benstraße. Dort wurden hauptsächlich rus- sische und französische Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter eingesetzt, um die Arbeit der im Felde stehenden deutschen Soldaten zu verrichteten. Boris starb noch vor seiner Voll- jährigkeit nach Aussage des Gefangenen- wärters Hopp an Tuberkulose, Bauchfellent- zündung und Herzschwäche. Merkwürdige Befunde bei einem jungen Mann, von dem wir nicht einmal wissen, wo man ihn beige-
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setzt hat. Margot Britz geb. Schiestel, Jahr- gang 1933, erinnerte sich an die sonntägli- chen Spaziergänge ihrer Familie und anderer Bexbacher in Richtung Grube und daran, wie sie – nachdem man keinen Wärter sich- tete – belegte Brote über den Stacheldraht- zaun warfen. Das Werk war bekannt für Drangsalierungen gegenüber Arbeiterinnen und Arbeitern. Seitens der Leitung und der Vorarbeiter folgte man stramm den Ideen des Nationalsozialismus. Ende 1944 starb im dortigen Lager auch Alex Ischerniek. Posdjakow und Ischerniek waren nicht die einzigen, aber kein Grab erinnert an sie. Wo wurden die toten Kriegsgefangenen beige- setzt? Nur noch auf den Friedhöfen von
Oberbexbach und Höchen lassen sich Grab- stätten ausfindig machen: zum einen liegt hier eine junge Ostarbeiterin, zum anderen vier unbekannte slawische Kriegsgefangene.
Das Ukrainerkreuz im Homburger Wald
Wenn man am Homburger Waldstadion ent- langfährt und sich ein Stück in den Wald be- gibt, führen von dort drei Wege in Richtung Rabenhorst, ehemalige Waldbühne und nach Kirrberg. An diesem letzten Weg, Ge- wanne Am Rossberg steht seit Oktober 2021 in schlichtes byzantinisches Kreuz aus Cor- ten-Stahl. Es hat durch den von Staatspräsi- dent Putin ausgelösten Krieg gegen die Ukraine eine aktuelle Symbolik bekommen. Es erinnert an über 300 in Massengräbern beigesetzte hauptsächlich ukrainische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter aus
Dieses Häuschen in Bexbach erwartet ukrainische Gäste
dem Barackenlager des damaligen Landes- krankenhauses. Im Dezember 1941 hatte die Friedhofsverwaltung mitgeteilt, dass auf dem städtischen Friedhof kaum mehr Platz sei, der für die zahlreichen Sowjetsoldaten bereitgestellt werden könne. Die erste Be- stattung auf dem „Russenfriedhof“ Am Ross- berg fand demnach am 2. Januar 1942 statt. Hatte man zunächst noch Tote unterschieds- los in Särgen bestattet, verwendete man sol- che bald nur noch für an Seuchen oder an- steckenden Krankheiten Verstorbene; die an- dern wurden in ölgetränktem Papier in aus- gehobenen Massengräbern, entfernt von Wohngebieten, beigesetzt. Anschließend streute man Kalk über die Leichen. Von dem russischen Gedenkportal „Memorial“ erfah- ren wir Näheres. Etwa 100 Karteikarten, vom Original abfotografiert und von den Verant- wortlichen des sog. „Russenlagers“ in Hom- burg angelegt, belegen den Tod der Gefan- genen und ihren Begräbnisort „Rossberg“. In den fünfziger Jahren erfolgte eine Umbet- tung auf den großen Soldatenfriedhof Perl- Besch: namenlos. Die in den Augen des rus- sischen Staatspräsidenten Wladimir Putin re- gimekritische Menschenrechtsorganisation
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