Page 11 - Stadtmagazin "es Heftche"® | Ausgabe 135, November 2023
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kürzlich: „Daher meine ich, können wir uns als Historiker und Archivare nur immer wie- der darum bemühen, dass die Biografien möglichst sorgfältig recherchiert werden. Al- lein verantwortlich dafür, und damit für das „Kunst-Projekt Stolpersteine“ sind wir aller- dings nicht.“ Die ohnehin straff gebündelte Beschriftung eines Steins muss den histori- schen Tatsachen entsprechen. Für Homburg konkret heißt das: Daten auf den bisher ver- legten Steinen sind leider historisch nicht korrekt. Zum Beispiel wurden bei identi- schen Lebensläufen verschiedene Bezeich- nungen verwendet. Begriffe wie „Emigrati- on“, „Flucht“ oder „mit Hilfe überlebt“ wer-
Bildmitte Ecke Klostergasse/Marktplatz; Haus Oppenheimer/Friómmer, Marktplatz 15, kleines Haus mit Tür und zwei Schaufenstern. Links ist die Werbung für die Werkstatt von Philipp Frommer angebracht
© Archiv H.-J. Britz
den hierbei verwendet. Es fehlen immer noch zwei Steine vor dem ehemaligen An- wesen der Geschwister Graber gegenüber der Synagogenruine: Henriette Graber starb 1939 an unbekannter Stelle und die eben- falls hier wohnende Betty Hirsch geb. Levy wurde deportiert und 1944 in Auschwitz er- mordet. Beide wohnten in der Klostergasse 1.
Familienschicksale
Kurz vor der Verlegung der Homburger Stol- persteine ermöglichte das Stadtarchiv Saar- brücken mit der Realisierung des Projekts: „Digitales Gedenkbuch aller Jüdinnen und Juden im Saarland“ die Möglichkeit intensi- verer Forschungen. Wichtige Lebensdaten sind nunmehr zugänglich. Während noch zuvor der rührige und leider erst kürzlich verstorbene Historiker und Leiter des Instituts für Pfälzische Geschichte und Volkskunde Kaiserslautern Roland Paul Nachfahren der Familie Salmon (Eisenbahnstraße 6) in Ame- rika kontaktierte und neue Details erfuhr, er- folgten bei den Familien Oppenheimer- Frommer (Marktplatz 15) anhand des Saar- brücker Gedenkbuches intensive Forschun- gen im Landesarchiv Saarbrücken. Die dem Völkerrecht unterstellten Saarländer erhielten aufgrund der sog. „Römischen Verträge“ Son- derrechte insofern, als ausreisewilligen Per- sonen auch nach der Rückgliederung des Saargebietes zu Nazideutschland im März
1935 eine Frist von einem Jahr gewährt wur- de, in der sie Deutschland verlassen konn- ten. Die Verträge liefen im März 1936 aus. Philipp und Johanna Frommer zogen mit ih- ren Söhnen Franz und Oscar am 31. Januar 1935 ins französische Strasbourg. Im Mö- belwagen nahmen sie Teile ihrer Wohnungs- einrichtung mit. Philipp nennt es später „Wegzug“, vermeidet den Begriff „Flucht“, wie er auf dem Stolperstein steht. Sicherlich hatte er eine Ahnung, was in der Hitlerdik- tatur auf ihn zukommen könnte. In Straßburg wurden ihnen kurz vor dem Wegzug fast sämtliche Möbel geraubt, allerdings nicht von Deutschen. Zunächst arbeitete Philipp Frommer in einer Straßburger Fabrik, danach bis 1940 in einem Sägewerk mit Kohlen- handlung in Villefranche/ Dordongne. In Bordeaux konnte er sogar wieder sein er- lerntes Handwerk als Buchbinder ausüben, bis im November 1942 deutsche Truppen aufgrund der Kollaboration des sog. „Vichy- Regimes“ unter Marschall Petain in das bis- her unbesetzte Südfrankreich gelangten und für die vierköpfige Familie die eigentliche Flucht begann. Frommer berichtet: „Wir flüchteten aus Angst vor Razzien der Nazis und vor der Deportation in ein Lager in die Wälder von Villefranche, wo wir ein illegales Leben in menschenunwürdigen Verhältnis- sen führten, bei schlechter Nahrung, was bei mir große gesundheitliche Schäden hervor- rief.“ Sein Sohn Oscar nennt es später „Hetz- leben“.
Er führt aus: „Nachdem deutsche Truppen im November 1942 auch die vorher unbe- setzte Dordogne besetzten, begannen die Razzien...im selben Maße, als die Wider- standsbewegung „Forces francaises de l’in- térieur“ (FFI) sich in den nahen Wäldern or- ganisierte. Aus diesem Grunde war mein Va- ter gezwungen, sich im Wald zu verstecken. Da in dieser Zeit die Juden keine Lebens- mittelkarten erhielten, war der Hunger stän- dig zu Gast. Dies war sein tägliches Leben bis zur Befreiung Frankreichs.“
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Obwohl die Bürger von Villefranche wuss- ten, dass sie auf Gemeindeterrain ein elen- des Dasein fristeten, gewährte ihnen nie- mand Obdach, sie waren bis zur Befreiung Frankreichs 1944 auf sich selbst angewiesen. Ihr Vertrauen auf JAHWE und ihr fast über- menschlicher Mut und Lebenswille retteten sie. Dennoch hatten diese Jahre Auswirkun- gen auf Philipps Gesundheit: Er hatte einen schweren Herzfehler und ein Nervenleiden. Immerhin wurden die Oppenheimers und Frommers nach dem Krieg entschädigt; Die beiden Familien zogen wieder in ihr Haus Ecke Marktplatz/Klostergasse. Eugen und Fri- derike Oppenheimer starben hier und sind auf dem jüdischen Friedhof beerdigt. Die Frommers wanderten später nach Frankreich aus. Derzeit werden intensiv Nachfahren ge-
Klostergasse 1 im Jahr 1966 (Graber) heute Loht und Marktplatz 15 Hinterhaus (Frommer) © Archiv H.-J. Britz
sucht. Wenn am 9. November auch in Hom- burg jener unglückseligen „Reichspogrom- nacht“ gedacht wird, ziehen Menschen an den Häusern der ehemaligen jüdischen Mit- bürger vorbei. Es sei erinnert an Bertha und Henriette Graber, die infolge dieses Pogroms entrechtet und gedemütigt wurden, indem Homburger Nazis ihr Mobiliar in die Klos- tergasse warfen. Und mit ihnen an alle jüdi- schen Opfer des Nationalsozialismus in un- serer Region.
Hans-Joseph Britz
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