Briefmarken erinnern an den „Schwarzen Freitag 1933“ Teil 3
Schreckenstage in Neunkirchen als der Gasometer explodierte
Am Tag danach
Die Glaser, Schreiner und Dachdecker hatten am Samstag einen Arbeitstag wie noch nie in den letzten Jahren. Glaser aus der näheren und weiteren Umgebung waren nach Neunkirchen gekommen. Heimische Glaserwerkstätten sahen sich zum Teil gezwungen den Betrieb auf die Straßen zu verlagern, da ihre Werkstattkapazität einfach nicht ausreichte. Bis zum Abend war der überwiegende Teil der kleinen Scheiben ersetzt. Nur die großen Schaufensterscheiben konnten noch nicht beschafft werden. Der Bahnhof hatte Hochbetrieb. Nachdem die Kunde von diesem schrecklichen Unglück durch die Zeitungen und den Rundfunk weit verbreitet worden war, strömten an den nächsten Tagen Tausende nach Neunkirchen. Zum einen wollten sich Viele nach ihren Verwandten erkundigen, zum anderen trieb aber auch die Neugierde zahlreiche Menschen in die Hüttenstadt. Vom Bahnhof zog ein unaufhörlicher Zug Menschen zum Unglücksort. Ein Bild wie man es sonst nur beim Schichtwechsel zu sehen bekam. Man hatte Landjäger aus dem ganzen Land nach Neunkirchen kommandiert, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen und den unaufhörlichen Menschenstrom vom Unglücksort fernzuhalten. Nur Geistliche, Pressevertreter und Photographen wurden neben den Rettungskräften zum Unfallort vorgelassen. In allen Teilen des Saargebietes und darüber hinaus zeigte sich eine große Anteilnahme. Bereits am Vormittag des 11. Februar war der Trierer Weihbischof Dr. Mönch nach Neunkirchen gekommen. Er hatte aus früheren Seelsorgerzeiten noch intensive Kontakte nach Neunkirchen. Dieses Unglück hatte deutliche Auswirkung auf die beförderten Personen der Neunkircher Straßenbahn. So heißt es im Geschäftsbericht 1934: „Der Verkehr im Laufe des Geschäftsjahre 1933 verlief nicht gleichmäßig. Bis zum Sommer war eine geringe Belebung der allgemeinen Geschäftslage festzustellen, die ihre Hauptursache in den Arbeiten hatte, welche infolge der Instandsetzung, der durch die Gasometerexplosion auf der Hütte zerstörten Häuser, notwendig geworden waren. Der Zustrom der Schaulustigen zur Unfallstelle brachte in den Monaten Februar, März, April, Mai und teilweise bis in den Juni hinein eine erhöhte Benutzung der Straßenbahn. Dies wirkte sich in einer Besserung der Fahrgeldeinnahmen aus. 167 Familien mit rund 700 Personen waren obdachlos geworden. Diese fanden zunächst Unterkunft bei Verwandten oder in Notquartieren.
Die Presse
Am Samstagabend wurden die Vertreter der Presse von der Generaldirektion des Neunkircher Eisenwerks bei einem Empfang über nähere Einzelheiten informiert.
Dabei sagte Generaldirektor Tgahrt wenig oder gar nichts über die Unfallursache, vielmehr stellte er die Wohltaten des Neunkircher Eisenwerks heraus. Er wies darauf hin, dass das Eisenwerk für die betroffenen Werksangehörigen eine Küche eingerichtet habe. Zur Anschaffung von Wäsche und Bekleidungsstücken für diejenigen, die ihrer Habe beraubt wurden hat das Werk einen Betrag von 50000 Franken bereitgestellt. Ferner beschloss der Aufsichtsrat der Hüttenknappschaft, die finanzielle Probleme erwartete, 300 000 Franken zur Verfügung zu stellen.
Er wandte sich gegen die Darstellung, dass das Werk ein ganzes Jahr stillgelegt werden soll. Es seien rund neun Monate notwendig, um alle Anlagen wieder komplett instand zusetzen. Die Koksversorgung könne mit zugekauftem Koks aufrechterhalten werden. Damit werde der Schichtenausfall nicht über die vorgesehene Feierwoche hinausgehen. Die hauptsächliche Arbeitslosigkeit werde die Beschäftigten der Benzolanlage, der Kokerei und der Nebenanlagen treffen. Auf die Frage, wie groß der Schaden für das Eisenwerk sei, antwortete Herr Tgahrt, dass der Schaden durch die Versicherung gedeckt sei. Generaldirektor Kugener teilte mit, dass der Hochofenbetrieb weiter aufrechterhalten werde. Das Walzwerk solle bereits in zehn Tagen wieder in Betrieb genommen werden.
Weltweit wurde von dem tragischen Explosionsunglück in Neunkirchen berichtet. Während die Hilfskräfte noch voll beschäftigt waren, waren auch die ersten Filmteams vor Ort. Die Fox-Filmgesellschaft aus Paris dokumentierte die Ereignisse ebenso wie die UFA –Filmstudios aus Berlin. Zeitungen aus dem In- und Ausland brachten ausführliche Berichte mit vielen Bildern. Neben den saarländischen Zeitungen füllten die Ereignisse auch die Titelseiten der deutschen Presse.
„Entsetzliche Gaskatastrophe über Neunkirchen“, titelte die Saarbrücker Zeitung am 10. Februar
„Explosion: The largest gasholder in Germany exploded at Neunkirchen“ überschrieb der „Manchester Guardian“ seinen Bericht vom 12. des Monats.
In der „L’Illustration“ vom 18.Februar hieß es: „Le centre usinier de Neunkirchen ravage par l’explosion d’un gazometre.“
“Sabotage Suspected In Gas Explosion Disaster - Tragic scenes in wrecked german town”, unterstellte der “Sunday Dispatch” am 12. Februar.
Die „Berliner Illustrierte Zeitung“ Nr. 7 brachte eine Sonderbeilage Neunkirchen heraus.
Weitere Veröffentlichungen folgten: “Die Neunkircher Explosions- Katastrophe“ von der Redaktion der „Saar und Blieszeitung“, die „Provinzial-Feuerversicherungsanstalt der Rheinprovinz Düsseldorf“ veröffentlichte eine Broschüre: „Bilder vom Explosionsunglück Neunkirchen Saar“. Diese kleine, keineswegs auch nur annähernd vollständige Auflistung der Presseberichte zeigt die weltweite Beachtung, die Neunkirchen damals, wenn auch auf diese tragische Weise, fand.
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Die Beisetzungsfeierlichkeiten
Am Dienstag, den 14. Februar wurden die Opfer der Neunkircher Gasometerexplosion auf dem Scheiber Hauptfriedhof beigesetzt. Bereits am frühen Morgen setzte ein lebhafter Verkehr ein. Auf dem freien Platz vor dem Bachschulhaus haben die Schreiner und Dekorateure bereits damit begonnen, die Leichenwagen mit schwarzem Tuch zu umkleiden. Kurz nach acht Uhr marschierten 300 Landjäger vom Bahnhof durch die Brückenstraße. Die Häuser hatten trauerumflorte Fahnen ausgehängt. In der Notkirche Herz-Jesu fand das Requiem statt. Sie war die Pfarrkirche der Opfer von Niederneunkirchen und sie gehörte auch zu den Explosionsgeschädigten. Der gewaltige Luftdruck der Explosion hatte alle Fenster eingedrückt und das große Altarkreuz vom Postament gestürzt. Definitor Eisvogel hielt die Trauerrede. Ihm oblag die schwierige Aufgabe das Leid und die Not der Hinterbliebenen zu mildern und aus der Kraft der Religion Trost zu spenden. Unaufhörlich strömten weitere Besucher in die Stadt. Alles war streng geregelt. In den Seitenstraßen stellten sich die Feuerwehren der Kreise Ottweiler und St. Wendel, der pfälzischen Bezirke und aus dem restlichen Saargebiet auf. Sie bezogen ihre Posten den Hüttenberg hinauf, am Oberen Markt, bis zum Scheiber Friedhof. Gegen 14.00 Uhr füllte sich der „Untere Markt“ mit den Gästen. Die Vereine stellten sich auf den ihnen zugewiesenen Plätzen auf. 48 evangelische Pfarrer mit ihrem Generalsuperintendent Dr. Stoltenhoff aus Koblenz nahmen links von der Kanzel Platz, die 60 katholischen Geistlichen stellten sich um Weihbischof Dr. Mönch rechts neben der Kanzel auf. Auf der mit grünen Lorbeerbäumen und Palmen geschmückten Kanzel waren fünf Lautsprecher und Empfangsgeräte für Rundfunk und Tonfilm angebracht. Auf den Dächern ringsum hatten die Filmleute ihre Kameras postiert, alle Fenster waren mit Photographen besetzt. Der Südwestfunk hatte ein Fenster im alten Hause Weidig am Unteren Markt gemietet und hier stand auch der Sprecher, Dr. Laven, der über alle deutschen Rundfunksender Deutschland und die Welt an der Abschiedsfeier teilnehmen ließ. Im Karl-Ferdinand-Haus versammelten sich die Ehrengäste, die Vertreter von Regierungen und Behörden: Reichsvizekanzler von Papen mit Sohn, Reichsarbeitsminister Seldte, der französische Arbeitsminister Paganon, Freiherr von Maaß als Vertreter des Ministers Hugenberg, Graf Kageneck, der Beauftragte des deutschen Exkaisers, die Minister der Regierungskommission, Bürgermeister Dr. Blank, Botschafter von Schubert, Gräfin von Sierstorpff und die anderen Mitglieder der Familie von Stumm, die Generaldirektoren des Neunkircher Eisenwerks, die Direktoren der anderen Saar- werke, die Vertreter der französischen Bergwerksdirektion, eine Abordnung der Stadt Straßburg mit dem ersten Bürgermeister Huber, eine Delegation der französischen Zollbeamten im Saargebiet, Delegierte aus Luxembourg und Belgien, Regierungsvertreter aus Bayern, Baden und Württemberg sowie zahlreiche Reichstags- und Landtagsabgeordnete. Nach den Traueransprachen von Dr. Stoltenhoff und Dr. Mönch setzte sich der Trauerzug zum Scheiber Hauptfriedhof in Bewegung. Vom Unteren Markt aus ging es steil den Hüttenberg hinauf. Streng nach Konfessionen getrennt bildeten die Wagen mit den evangelischen Opfern die Spitze. Zwischen den Wagen der beiden Konfessionen hatte man die Vertreter der Regierungen und Behörden eingeordnet. Dann folgten die Wagen mit den katholischen Opfern. Der Vorbeizug des Trauermarsches dauerte fast eine Stunde. Auf dem Scheiber Hauptfriedhof war den Toten ein gemeinsames Grab bereitet worden, das sich zum Teil auf den evangelischen und zum anderen Teil auf den katholischen Friedhof erstreckte. Die Beisetzungsfeier verlief ohne jede Störung. Die große ausgedehnte Grabanlage wird seitdem über all die Jahrzehnte von der Stadtverwaltung gepflegt und in Ordnung gehalten.
Anteilnahme und Spenden, Ausgabe von Briefmarken
Die Tragödie von Neunkirchen fand weltweit große Anteilnahme. Bereits in der Nacht und am nächsten Tag setzte eine riesige Flut von Beileidstelegrammen und Briefen ein. Angefangen beim Reichspräsidenten von Hindenburg, der auch noch 100 000 Mark zur ersten Linderung der Not an die Stadtkasse überwies; für die Reichsregierung schrieb der Außenminister Freiherr von Neurath an den Präsidenten der Regierungskommission, der Reichskanzler Adolf Hitler telegrafierte direkt an den Bürgermeister der Stadt Neunkirchen, bis zu Papst Pius XI, der dem Bischof von Trier sein Beileid ausgesprochen und für die Hinterbliebenen 5000 Mark gespendet hat. Der evangelische Oberkirchenrat hat der hiesigen Kirchengemeinde telegraphisch sein Beileid ausgesprochen und 3000 Mark zur Verfügung gestellt. Der Präsident der Regierungskommission Knox hat ein Beileidsschreiben an den Bürgermeister gerichtet und der Volkswohlfahrt einen Kredit zur Verfügung gestellt. Auch die Länder Preußen, Bayern und Bremen haben ihre Anteilnahme ausgedrückt, dabei hat der Bremer Senat aus seinem Fond 5000 Mark zur Verfügung gestellt. Beileidtelegramme kamen vom Völkerbund, aus Österreich, Frankreich, Belgien, England, Spanien ja sogar aus Südamerika. Der Geschäftsträger von Guatemala veranstaltete zusammen mit anderen Gesandtschaften aus Südamerika einen Wohltätigkeitsball zugunsten der Opfer in Neunkirchen. Auch die Reichsbahn zeigte sich von ihrer großzügigen Seite und stellte 10 000 Mark zur Linderung der Not zur Verfügung. Die Stadt Saarbrücken spendete 100 000 Franken, Straßburger Bürger spendeten 10 000 Franken, gleichzeitig teilte die Stadt mit, dass sie 50-60 Kinder der Obdachlosen auf mehrere Wochen unentgeltlich unterhalte. Auch die Städte Berlin und Paris telegrafierten ihre Anteilnahme nach Neunkirchen. Der Exkaiser Wilhelm sandte sein Beileidstelegramm an die Gräfin von Sierstorpff. Viele Kinder aus Niederneunkirchen wurden vom „Verein für das Deutschtum im Ausland“ (VDA) in seinen Jugendheimen untergebracht. Eine Gruppe von 20 Kindern fand im Jugendheim Margarethe Cronau im Erzgebirge Unterkunft
Die Postverwaltung des Saargebietes gedachte der Opfer mit einer Briefmarkenausgabe. Am 1. Juni 1933 erschienen drei Wohltätigkeitsmarken zugunsten der Opfer des Explosionsunglücks vom 10. Februar 1933 in Neunkirchen. Diese drei Marken mit demselben Markenbild aber in verschiedenen Farben, Portostufen und Zuschlagswerten zeigen die Unglücksstelle mit dem Werksgelände im Hintergrund. Die Inschrift lautet: Neunkirchen, 10. Februar 1933. Diese inzwischen viel gesuchten Briefmarken sind die einzigen Briefmarken, die bisher mit einem Hinweis auf Neunkirchen erschienen sind. Unter dem Vorsitz des Ministers Koßmann wurde ein Hilfswerk gebildet, um den Opfern zu helfen. Rund 700 Personen waren obdachlos geworden. Für sie galt es schnellstens neuen Wohnraum zu schaffen. Eine neue Wohnsiedlung wurde auf Initiative der Gräfin Sierstorpff - Tochter des Karl Freiherr von Stumm - gebaut. Diese Siedlung ist heute noch unter dem Namen Explosionssiedlung oder auch rote Siedlung - wegen der Farbe der Häuser - bekannt.
Fortsetzung folgt; Quellenangabe am Ende der Reihe
Ein Bericht von Wolfgang Melnyk / Horst Schwenk