Zur Entstehung des Neunkircher Ortsteils “Schlawerie” und zur Deutung des Namens
Von Walter Petto, Teil 4
Hoppstädter widmete 1949 der Frage nach der Herkunft der Neunkircher Schlawerie einen längeren Beitrag in der Lokalpresse18.
Als erste Erwähnung nennt er 1791, auch die Nebenform „Schlapperie". Er grenzt den Ortsteil vom Neunkircher Hof ab und sieht in der Schlawerie eine „zweifelsfrei" mit der Gründung der Oberschmelz (1749) entstandene Arbeitersiedlung. Unter Anknüpfung an die Slawentheorie bringt Hoppstädter die Entstehung des Namens in Zusammenhang mit der deutschen Auswanderung in slawische Gebiete (Galizien, Batschka, Banat), aber auch mit der Aufteilung des Königreichs Polen unter den benachbarten Mächten. Als analoge Namenstypen, die auf aktuelle geschichtliche Ereignisse zurückzuführen sind, nennt Hoppstädter pfälzische Ortsrandsiedlungen, „wo sich zunächst ärmere Leute eine notdürftige Unterkunft schufen", z.B. „Lawandee", deren Benennung auf die Aufstände in der Vendée während der Französischen Revolution zurückzuführen ist. Zwanzig Jahre später nahm Hoppstädter das Thema erneut auf und konnte mit „1765 Schlabery" die Ersterwähnung um ein Vierteljahrhundert früher ansetzen. Aus diesen Ausführungen geht hervor, dass seine Deutungsvorschläge, welche die von 1949 wiederholen, auf eine briefliche Mitteilung des bekannten Kaiserslauterer Namenforschers Prof. Ernst Christmann beruhen, der „Schlawerie" als armselige Arbeitersiedlung deutet, die im Volksmund, wie analoge Fälle zeigen, Namen von oft exotischen Gegenden erhalten, die jeweils „Brennpunkte" des Zeitgeschehens waren. Deutlich wird hier die Begründung der „Slawentheorie": Es ist nun gar nicht nötig, dass tatsächlich aus slawischen Gebieten stammende Arbeiter dort angesiedelt wurden, und doch kann eine solche Benennung erfolgen. Es kommt dann wieder der Hinweis auf die Auswanderung der Deutschen in die donauschwäbischen Gebiete. Letztere waren freilich noch nicht von den Slawen besiedelt, aber dort trafen unsere Auswanderer mit Serben, Rumänen und Slowaken zusammen, und ihnen musste die tieferstehende slawische Kultur und Lebensart den Eindruck des Schmutzigen, Nachlässigen, Liederlichen machen, und es konnte in der Heimat, wohin die Auswanderer zunächst noch Verbindungen hatten, ,Slawerie' zur Nennung eines Ortsteils werden, wo ärmere Leute ärmliche Häuser errichteten und die Wegverhältnisse und das ganze äußere Bild noch einen recht ungünstigen Eindruck machten. Diese Erklärung kann freilich zuerst nur Hypothese sein. Die gedankliche Assoziierung von „Schlawerie" mit dem Volksstamm der Slawen liegt nun freilich nahe. Sie wird gestützt durch Anklänge an Wörter wie das noch heute lebendige Wort „Schlawiner" und das in Mundartwörterbüchern belegte „Schlawak", die beide slawische Volksgruppen bezeichnen. Schlawiner in der Bedeutung ‚Nichtsnutz' (im Österreichischen), ‚pfiffiger, durchtriebener Kerl' leitet Wahrig von den Slowenen ab, „die als sehr geschäftstüchtig galten". Für „Schlowak", „Schlawak" nennt das Pfälzer Wörterbuch die Bedeutungen aus der Slowakei oder aus einem nicht näher bekannten (osteuropäischen) Land stammender Mensch, polnischer Jude, Zigeuner, unordentlicher, liederlicher Mensch. Mit ähnlichem Inhalt finden sich diese Ausdrücke auch in früherer Zeit in Lothringen, im Elsaß, in Südhessen, wie die einschlägigen Mundartwörterbücher ausweisen. In übertragener Bedeutung gebraucht, haben sie einen pejorativen, also abwertenden, verächtlich machenden Inhalt. Sie kommen wahrscheinlich aus dem Österreich der Habsburgerzeit, wo man im Umgang mit den Fremden nicht zimperlich war. Hier spiegelt sich das Überlegenheitsgefühl des Deutschöstereichers der Doppelmonarchie gegenüber dem Völkergemisch des Balkans, der für manche noch heute schon in Wien beginnt, wieder. In diese Reihe von Schimpfwörtern für Ostvölker sind zu stellen „Polack", „Böhmak" für Tscheche; ähnlich „Katzelmacher" für Italiener usw. Die von Wingert vertretene Ansiedlung von Hugenotten lässt sich nicht halten. Für Ludweiler und Zweibrücken ist ein Zuzug französischer Kalvinisten hinlänglich bekannt, während Neunkirchen höchstens vereinzelte hugenottische Zuwanderer zu verzeichnen hat. Ein neuerer Versuch, dem Problem beizukommen, ist der von H. Gillenberg. Nach ihm sollen auf einer 10 Morgen großen Parzelle inmitten des Hoflandes Ende des 17. Jahrhunderts durch die fürstliche Regierung Zuwanderer angesiedelt worden sein. Wegen ihres dunklen Typs und ihren fremden Eigenarten, wahrscheinlich auch wegen ihrer anderen Sprache, hatten die Neusiedler bald ihren Namen weg, die von der Schlawerie. Unter Anlehnung an Wingert setzt Gillenberg die Ansiedlung dieser Arbeiter um 1683 an, macht aber aus den Hugenotten Wallonen, die als Arbeiter gekommen sein sollen, als das damals ruinierte Werk angeblich von dem belgischen Hüttenmeister Remacle Joseph Hauzeur wieder aufgebaut und in Gang gesetzt wurde. Da die Wohnungen beim Werk für die Neuankömmlinge nicht ausreichten, sei weiteres Land zur Verfügung gestellt worden, auch habe man sie auch von der Bevölkerung des Dorfes fernhalten wollen, da Katholiken „nur notgedrungen geduldet" wurden. Warum nun eine Wallonensiedlung ausgerechnet den Namen „Schlawerie" erhielt, vermag Gillenberg auch nicht zu erklären. Auch hier klingt noch das Motiv des fremdartigen dunklen Menschentyps, dessen Sprache man nicht versteht, nach, wenngleich die Slawentheorie nicht länger bemüht wird.
Quellennachweis:
18 Kurt Hoppstädter (wie Anmerkung 16). Als weitere Beispiele nennt Hoppstädter “Kamerun” als volkstümliche Benennung für Ortsteile in Sulzbach und Friedrichsthal sowie den in den 1890er Jahren aufgekommenen Namen “Neuhelgoland” in Neunkirchen 19 Kurt Hoppstädter: Die Siedlungsnamen der Landkreise Ottweiler und St. Wendel, Veröffenlichungen der Arbeitsgemeinschaft für Landeskunde im Historischen Verein für die Saargegend e.V., Heft 3, o.O., 1970, S. 62f 20 Gerhard Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Bertelsmann, 1973, Sp. 3112 21 Pfälzer Wörterbuch, Bd 6, Stuttgart 1993, Sp. 137f. 22 Vgl. dazu A.J.Storfer: Im Dickicht der Sprache, Wien-Leipzig-Prag 1937, S. 79ff.23 Vgl. Friedrich Blatter: Wer waren unsere Vorfahren?, Ottweiler 1934/35, S. 40ff. 24 Heinz Gillenberg: Neunkirchen. Vom Mayerhof zur Stadtkernerweiterung, 1989 S.11, - Ders.: Arbeitersiedlung - Arbeiterwohnungen.Frühe Arbeiterwohnungen in Neunkirchen, Teil 1, 2 Blätter, Historischer Verein Stadt Neunkirchen o.J. (2000)