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Bewegender Vortrag mit vielen Fotografien

Die Geschichte vom tapferen Schneiderlein, ein Zeitensprung in die grausame Ära des NS-Regimes

Der bekannte Regionalhistoriker und Autor Jörg A. Künzer, im Hauptberuf Polizeibeamter, thematisierte in einem bewegenden Vortrag mit vielen Fotografien aus dieser Epoche die berührende Geschichte der christlich-jüdischen Blieskasteler Familie David, verwoben mit desaströsen Einzelschicksalen weiterer Einwohner.

Es war ein grausames Wirken eines beispiellosen totalitären Regimes. Ob Juden, Christen, Sinti und Roma, Zeugen Jehovas, Menschen mit Behinderungen, Homosexuelle, Personen des Widerstandes, Wissenschaftler, Künstler, Journalisten, Kriegsgefangene, Deserteure - Millionen Menschen wurden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft entrechtet, verfolgt, gequält, zwangssterilisiert, vergewaltigt und ermordet. Auch in Blieskastel lebten verfolgte, denunzierte und deportierte Menschen. Und Juden. Von ihrer Existenz und ihrem Leiden zeugen nicht zuletzt der jüdische Friedhof, die Judengasse sowie die zur Erinnerung angelegten, sogenannten "Stolpersteine" gegen das Vergessen. Am 30. Mai 2009 war Blieskastel die erste Kommune im Saarland, in der diese besonderen, aus Messing hergestellten Pflastersteine verlegt wurden, um der Vertreibung und Vernichtung der Juden während des Nazi-Regimes zu gedenken. In den Chroniken findet sich vieles über die Blieskasteler Juden, und über den Schneidermeister Moses David, den damals während der NS-Zeit letzten in Blieskastel verbliebenen Bürger jüdischen Glaubens. In Zusammenarbeit mit der Stadt Blieskastel hat Jörg A. Künzer, bekannt durch diverse Publikationen, Vorträge und Führungen mit Schwerpunkt jüdisches Leben und die Zeit des Nationalsozialismus in Blieskastel und u.a. Mitglied im Freundeskreis zur Rettung jüdischen Kulturgutes im Saarland, über Jahre hinweg ausgiebig recherchiert. Er hat Archive durchstöbert, Zeitzeugen ausfindig gemacht und befragt sowie Bildmaterial zusammengetragen. Das Ergebnis seiner umfangreichen Arbeit stellte er am 8. März im Rahmen eines bewegenden und überdurchschnittlich gut besuchten Vortrages in der Blieskasteler Orangerie vor. Jörg A. Künzer hat nicht nur die Leidens- und Lebenswege der Familie David in der Barockstadt zur Zeit des Nationalsozialismus recherchiert, sondern konnte auch unzählige andere Schicksale verfolgen. Neben der Vertreibung und Ermordung von über 30 Juden kamen so auch desaströse Einzelschicksale anderer Bewohner zur Sprache. Der Referent ließ so, flankiert von über 70 historischen Aufnahmen, die unrühmliche Geschichte von damals noch einmal lebendig werden. Eine Geschichte, die unter keinen Umständen dem Vergessen anheimfallen darf, die uns noch heute tief berührt, beschämt und immer wieder zum Nachdenken anregen sollte, gerade jetzt, in einer Zeit, in der sich Rechtsradikalismus und Antisemitismus wieder gewaltig auf dem Vormarsch befinden. 

 

Eine besondere Ehre war die Anwesenheit zweier Zeitzeugen, denen Jörg A. Künzer viele Informationen aus erster Hand verdankt: Friederike (genannt Frieda) Kühl, geborene David, die Tochter des Schneidermeisters Moses David, sowie Katharina Billert, deren Mutter (genannt "Kihme Kätche") aufgrund ihrer anti-nationalsozialistischen Haltung Repressionen ausgesetzt war. Zwei weiteren wichtigen Zeitzeugen, Frau Gisela Kuhn und Frau Annemarie Neumar, war es aufgrund ihres hohen Alters leider nicht möglich persönlich zu erscheinen. Zum Vortragsende bedachte der Referent unter dem Beifall des anwesenden Publikums die beiden Ehrengäste mit jeweils einem Blumenstrauß. Aufgrund des großen Interesses an dem Vortrag und bereits erfolgter Nachfrage ist in der zweiten Jahreshälfte eine Wiederholung der Veranstaltung geplant.

Jörg A. Künzer, der zurzeit an der Fertigstellung einer wissenschaftlichen Abhandlung über „die Grablege des Klosters Wörschweiler“ arbeitet, wird auch hierüber in naher Zukunft einen weiteren Vortrag in der Orangerie halten. Des Weiteren findet am 8. September 2024, am Tag des offenen Denkmals, unter seiner Ägide eine Führung auf dem jüdischen Friedhof in Blieskastel statt. Neben den Infos zum Friedhof werden auch der Tod, die Trauer und Bestattung in jüdischer Tradition ein Thema sein. (ub)

Schenk, Silvia
25. Apr 2024