Zur Entstehung des Neunkircher Ortsteils “Schlawerie” und zur Deutung des Namens
Von Walter Petto, Teil 8 und Schluss
Wie ist nun das Wort entstanden? Hier müssen sprach- und kulturgeschichtliche Überlegungen angestellt und Gesetze der Wortbedeutungs- und Wortbildungslehre berücksichtigt werden.
Vorweg sei bemerkt, dass Schreibvarianten wie wortinneres –w- bzw. –v- sowie auslautendes –ie bzw. –y unerheblich sind, da sie keinen Einfluss auf die Aussprache haben. Die gelegentlich auftretende Ersetzung des Lautes w durch b oder p(p) kann als hyperkorrekte „Verhochdeutschung“ gedeutet werden. Mundartliches „lewe“ hat die schriftsprachliche Entsprechung „leben“. Das Substantiv „Schlawerie“ kann in zwei Bestandteile zerlegt werden: das Grundwort „Schlaw(e)“ und den Suffix (die Nachsilbe) „erie“. Hinweise auf die Bedeutung des Grundworts finden sich im Wörterbuch der Brüder Grimm (45) aus dem 19. Jahrhundert und im Rheinischen Wörterbuch. Ersteres kennt „Schlawe“, „Schlaff“ als Variante von Sklave, also Unfreier, Höriger. Zutreffender für diese Untersuchung ist die Bedeutung „einer, der arbeiten muss wie ein Sklave, der sich stets bemühen muss“. Davon abgeleitet ist ein Tätigkeitswort „schlaven“, wie ein Sklave dienen, arbeiten‘ und schließlich, harte, mühsame, unablässige Arbeit verrichten‘. Das Rheinische Wörterbuch (46) (zuständig für die Mundarten der ehemaligen preußischen Rheinprovinz vom Niederrhein bis Hanweiler) kennt ebenso „Schlave“ im Sinne von ‚armer Mann, der immer schwer arbeiten muss‘ für mehrere Orte des Gebiets, darunter auch Saarbrücken. Daneben auch die Bedeutung, Frau, die viele Kinder hat und sich deshalb sehr abmühen muss, die von ihrem Mann schlecht behandelt wird‘. Für „schlaven“ finden wir, schwer arbeiten, sich abplagen‘. Als zugehöriges Substantiv steht „Schlaverei“, z.B. Nachtschlaverei. Es kann also angenommen werden, daß die Arbeits- und Lebensbedingungen der Bewohner der mit „Schlawerie“ bezeichneten Arbeiterkolonien mit denen von Sklaven im Sinne von schwer arbeitenden, gleichsam geknechteten Menschen verglichen und mit dem mundartlichen Terminus „Schlawe“ benannt wurden. Kurioserweise führt nun der Weg wieder zurück zu den Slawen, denn die meisten Etymologen leiten das Wort „Sklave“ von dem Volksstamm der Slawen ab. Diese Entwicklung ist äußerst kompliziert und kann hier nur verkürzt wiedergegeben werden. Im frühen Mittelalter wurden Slawen, erstmals in der Form „sklabenoi“ belegt, als Unfreie verkauft. z.B. an Araber und nach Norditalien. In der griechischen Aussprache schlich sich zwischen "s" und "l" ein "k" als Gleitlaut ein (vgl. Sklerose). Dieses Wort gelangte auch nach Mittel- und Westeuropa. In England, wo wir „slave“ finden, im Niederländischen und den nordeuropäischen Sprachen fiel der Zwischenkonsonant wieder weg, in Deutschland finden wir beide Formen. So konnten „Schlawe“ bez. „Sklave“ sowohl für Slawe als auch Sklave stehen, Erst später haben sich zur klaren Unterscheidung „Sklave“ für den Unfreien und „Slave“ bzw. „Slawe“ als ethnisch-sprachliche Bezeichnung getrennt (47). Freilich stört in diesem Zusammenhang die Nachsilbe „erie“. Sie ist ja nicht deutsch sondern französisch. Für die rein theoretische Annahme, “Schlawerie” sei im französischen Sprachraum entstanden, gibt es keine Anhaltspunkte. Allerdings gab es im 18. und 19. Jahrhundert im Französischen den Begriff “eclaverie”. Darunter verstand man große Lager an der westafrikanischen Küste, in denen schwarze Sklaven zum Abtransport in die amerikanischen Kolonien gesammelt wurden. Bekannt ist die “eclaverie” auf der Insel Goree vor Dakar an der Küste Senegals. Sie gehört sogar zum Weltkulturerbe (48). Bisher haben sich keine Belege für ein davon abgeleitetes Wort mit dieser Bedeutung in unserer Sprache gefunden. Ich neige zu der Annahme, dass das Wort “Schlawerie” eine heimische Prägung ist. Wie ist nun das Vorhandensein des französischen Suffixes –erie zu erklären? Er ist uns vertraut in älteren Lehnwörtern wie Drogerie, Orangerie, Fasanerie, Menagerie usw. Diese Wörter wurden nach dem Dreißigjährigen Krieg, als Paris und Versailles den Ton in Europa angaben, ins Deutsche übernommen. Die Funktion des Suffixes ist es den Standort der im Grundwort bezeichneten Gegenstände anzugeben. Es ist nun denkbar, dass in Anlehnung an diese Begriffe mit spöttisch ironischer Intention, Stätten, wo sich “Schlawen”, also arme, sich abplagende Arbeiter aufhielten, regional mit dem Namen “Schlawerie belegt wurden. In diesem Zusammenhang sei verwiesen auf ähnliche Wortbildungen, die allerdings modern sind. Unter dem Einfluss neuerer Begriffe wie Brasserie, Creperie, die aus dem Französischen kommen, findet man modische Nachbildungen mit der sehr beliebten Nachsilbe „erie“. Gefunden habe ich eine “Croquerie”, eine “Schlemmerie”, eine “Bouqueterie” (Blumenladen) und berichtet wurde mir sogar von einer “Condomerie”. In Saarbrücken hat ein Wirt namens Etteldorf sein Restaurant “Ettelerie” getauft. Warum soll vor knapp 250 Jahren “Schlawerie nicht nach ähnlichen Sprachgesetzen entstanden sein.
Im Kasten: Im Vortrag des HVSN am Mittwoch den 5. November 2025 um 19 Uhr im VHS- Gebäude Neunkirchen, Marienstr. 2, erzählt uns Herr Christian Reuther, Leiter des Stadtarchives Neunkirchen, von den „ Anfängen der Fotografie in Neunkirchen bis zum Jahr 1920“. Nichtmitglieder zahlen 3€, Gäste sind herzlichst willkommen.
Quellennachweis: 45 Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 10, Leipzig 1899, Sp. 1310ff, 46 Rheinisches Wörterbuch, Bd. 7, Berlin 1948 - 1958, Sp 1275,47 Grimm (wie Anm. 44); Trübner, Deutsches Wörterbuch, Bd 6, Berlin 1955, S. 385ff. 48 Nach verschiedenen Websites (Freundl. Hinweis von Herrn Dr. B Gölzer, Neunkirchen)

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